Nächste Generation: Gesund, erneuerbar, zirkulär

Nachhaltige Gebäude sind nicht nur energieeffizient – sie bestehen auch aus natürlichen und recyclingfähigen Materialien. Das zeigt sich einerseits in niedrigen Verbrauchskosten und andererseits in einem höheren Wohlfühlfaktor für die Mitarbeiter. Das bietet zudem Chancen für geringere Baukosten durch Leasingmodelle oder Pfandsysteme. Dies alles ist nicht zu unterschätzen in Zeiten, in denen das Büro zunehmend mit dem Homeoffice konkurriert.

Von Dr. Peter Mösle, Partner der Drees & Sommer SE und Geschäftsführer der EPEA GmbH

Eine neu entwickelte, hochdämmende Fassadenkonstruktion, Photovoltaikanlagen auf dem Dach und an der Südfassade, Erdwärme über Geothermie- Bohrungen sowie eine begrünte Nordfassade: Wenn Drees & Sommer im Herbst 2021 seine neuen Büros in Stuttgart-Vaihingen bezieht, wird das Planungs- und Beratungsunternehmen in einem Gebäude nach Plusenergie-Standard residieren, das mehr Energie erzeugt als im Betrieb verbraucht wird – und das damit allen zukünftig erwartbaren Anforderungen sowohl in Sachen Cradle to Cradle als auch hinsichtlich der Digitalisierung gerecht wird. 

22 Millionen Euro lässt sich Drees & Sommer das vierstöckige Hochhaus kosten, das auf einer Bruttogeschossfläche von rund 7 000 Quadratmetern einen großen Konferenzbereich, Wohlfüh- loasen für die Mitarbeiter wie eine Terrasse, eine Cafeteria und eine Kantine für bis zu 1.000 Mitarbeiter bietet. Künftig werden dort 200 Mitarbeitende ihre Arbeitsplätze beziehen. Das von SCD Architekten und Ingenieure in Stuttgart konzipierte Gebäude soll dabei mehr sein als ein schnöder Verwaltungsbau: Es soll den Mitarbeitern Lust machen auf den Büroalltag – was ein nicht zu unterschätzender Faktor ist in Zeiten, in denen das Büro zu- nehmend mit dem Homeoffice konkurriert. Und es soll zugleich als Demonstrationsobjekt für künftige Bauinteressenten dienen. Denn wer Kunden berät, wie man Gebäude digital, flexibel und effizient plant, baut und intelligent betreibt und dabei streng auf Umweltfreundlichkeit achtet, sollte natürlich mit gutem Beispiel vorangehen. Und was sich bewährt und wirtschaftlich rechnet, lässt sich am besten beweisen, indem man es selbst vormacht.

Gut für die Umwelt, gesund für die Menschen: Das neue Bürogebäude von Drees & Sommer in Stuttgart zeichnet sich nicht nur durch ein Höchstmaß an Nachhaltigkeit aus, sondern bietet künftig rund 200 Mitarbeitern des Unternehmens künftig eine gesunde und sichere Arbeitsumgebung.

„Was sich bewährt und wirtschaftlich rechnet, lässt sich am besten beweisen, indem man es selbst vormacht."


Nachhaltigkeit ist in vielen Unternehmen inzwischen ein Teil der Unternehmensstrategie und diese möchten Unternehmen auch nach innen wie nach außen widerspiegeln – und das lässt sich natürlich vor allem durch die Immobilien zeigen, in denen man arbeitet. Darüber hinaus gelten Büroräume für Mitarbeiter als identitätsstiftend und sind damit auch ein wichtiger Faktor für das Employer Branding sowie für eine erfolgreiche Personalakquisition. Denn daran, dass Unternehmen um hochqualifizierte Fachkräfte konkurrieren, hat auch die Corona-Krise nichts geändert.

Hierzu gehört, auf Gesundheit und Wohlbefinden der Mitarbeiter größten Wert zu legen. Die Einhaltung nachhaltiger Aspekte erfordert dabei sowohl Ideenreichtum als auch eine frühe, detaillierte Auseinandersetzung mit den verwendeten Materialien und der Auswahl der Fachplaner. Dazu zählt auch, dass Firmengebäude nicht nur so energieeffizient wie möglich sein sollten, sondern auch dass bei der Materialauswahl auf Nachhaltigkeit und gesundheitliche Aspekte geachtet wird. Begrünte Fassaden wie beim Drees & Sommer-Projekt in Stuttgart-Vaihingen zählen dazu, genauso wie die Verwendung von Naturmaterialien wie etwa Lehmwände oder aus Recyclingmaterialien hergestellte Teppichböden. Das hat eine positive Wirkung auf die Raumluft und die Produktivität der Nutzer – und sorgt nebenbei dafür, dass die verwendeten Produkte und Materialien auch kreislauf- fähig und somit umweltpositiv sind. So bleiben die Gebäude auch dann werthaltig, wenn sie irgendwann nach vielen Jahr- zehnten das Ende ihrer Nutzungsdauer erreicht haben und wieder – nach heute schon geplanter Anleitung – einfach rückgebaut werden können.

Cradle to Cradle heißt dieses Designprinzip, mit dessen Hilfe der Ressourcenverbrauch und das zukünftige Abfallaufkommen am besten komplett reduziert wird und Materialien stattdessen als Nährstoffe betrachtet werden. Die Konstruktionen und eingesetzten Produkte sind so gewählt, dass sie entweder vollständig abbaubar in der Biosphäre sind oder – wie meist in der Baubranche – wieder als Nährstoff in technische Kreisläufe zurück- geführt werden. Voraussetzung ist dabei das richtige System- und Produktdesign der eingesetzten Materialien: So sollte ihre chemische Beschaffenheit so sein, dass später keine Schadstoffe in Rezyklate und Umwelt gelangen – sprich: gesunde Baumaterialien sind Voraussetzung für eine echte Kreislaufführung. Als Instrument hierzu dienen Produktausweise pro Bauteil und aufsummiert ein Gebäude-Material-Passport.

Interdisziplinäre Forschungsteams beschäftigen sich mittlerweile verstärkt mit Stoffkreisläufen. Auch Hersteller und Produzenten arbeiten anhand von Konzepten wie Cradle to Cradle an der Entwicklung von restlos recyclingfähigen und kompostierbaren Baustoffen. Und immer mehr Bauherren setzen sie bereits in ihren Projekten ein. Architektur- und Planungsbüros stehen vor der großen Aufgabe, auf die wachsenden Anforderungen der Bauherren zu reagieren und ihre Konzepte hinsichtlich ihrer Kreislauffähigkeit und positiv ausgerichteten Nachhaltigkeit umzudenken. Ähnlich wie in den späten 1970er-Jahren mit der Ölkrise das Thema Energie plötzlich aufkam, rücken die Entwicklung und der Einsatz kreislauffähiger Materialien heute in den Fokus der Industrie und der Bauwirtschaft. Und ähnlich wie damals der Beruf eines Energieberaters notwendig wurde, zeigt es sich heute, dass es einer neuen Fachdisziplin – des Circular Engineers oder des Material-Fachplaners – innerhalb des Planungsteams bedarf, um die Herausforderungen integrativ mit Architekten und Bauherren zu lösen. Denn wenn die Bau- und Immobilienbranche wirklich einen spürbaren Beitrag zum Klimaschutz und zur Ressourcenschonung leisten möchte, führt an der Circular Economy kein Weg mehr vorbei.


Die Anzahl der Bauprodukte, die dem C2C-Prinzip entsprechen, wächst stetig weiter. Unter den zertifizierten Produkten finden sich inzwischen Bodenbeläge, System- und Glastrennwände, Isolierungsprofile und Fassadensysteme.


Das Cradle to Cradle-Designprinzip hat dabei auch direkte Auswirkungen auf die Gebäudenutzer: Erfahrungen mit ähnlichen Projekten – wie z. B. das Rathaus in Venlo – zeigen, dass die Unternehmen, die in derartigen Gebäuden ihre Büros betreiben, einen deutlich geringeren Krankenstand und eine abnehmende Fluktuation unter den Mitarbeitern verzeichnen. Denn grundsätzlich gilt: Wer sich wohlfühlt, wird seltener krank – und hat auch keinen Grund, den Arbeitgeber zu wechseln.

Smarte Gebäudetechnik kann zudem den Nachhaltigkeitsgedanken in der Nutzungsphase der Gebäude unterstützen, indem sie beim Energiesparen hilft und somit eine Reduzierung der Betriebs- und Nebenkosten ermöglicht. Auf die schlaue Gebäudesteuerung setzt auch Drees & Sommer bei seinem Vorzeigeobjekt in Stuttgart-Vaihingen: Mit Hilfe von Apps sollen dort beispielsweise Zugangsberechtigungen vergeben werden, die Buchung von Konferenzräumen oder die Stellplatzbelegung erfolgen und Einstellungen von Heizung, Kühlung, Lüftung oder Licht individuell und automatisiert an den jeweiligen Büronutzer angepasst werden.

„Wer sich wohlfühlt, wird seltener krank – und hat auch keinen Grund, den Arbeitgeber zu wechseln.“


Eine wichtige Rolle in der globalen Geschäftswelt spielt aber hinsichtlich des Qualitätsanspruchs an Gebäude auch eine länderübergreifende Vergleichbarkeit. Notwendig ist daher ein internationaler Kriterienkatalog. Insofern ist es wichtig, Immobilien nicht nur nachhaltig zu konzipieren, sondern auch nach internationalen Standards zertifizieren zu lassen. Das ist nicht zuletzt auch unter Werterhaltungs-Gesichtspunkten wichtig, denn der Marktwert einer erwiesenermaßen nachhaltigen Immobilie – da als solche zertifiziert – ist höher als jener nicht zertifizierter Immobilien.

Zur Zertifizierung von Gebäuden als Green Building existieren drei branchenweit anerkannte Standards: Das amerikanische LEED (Leadership in Energy and Environmental Design), das britische BREEAM (Building Research Establishment Environmental Assessment Method) und das deutsche DGNB Siegel. Alle drei sollen Auskunft über die Effizienz, Umweltfreundlichkeit und Ressourceneinsparung geben. Im Segment der Büroimmobilien gibt es mittlerweile praktisch keinen Neubau mehr, der nicht mindestens eines der drei Green Building-Siegel trägt. Denn am Ende sind diese Zertifikate eine Art unabhängige Qualitätssicherung: Unternehmen wissen, was sie bei entsprechend zertifizierten Immobilien in puncto Energieverbrauch und Wassereffizienz erwarten können, aber auch mit Blick auf Raumluftqualität oder Mobilitätsangebote. Hinsichtlich der Aspekte einer echten Kreislaufwirtschaft stellt insbesondere die Version 2018 des DGNB-Systems eine Nachhaltigkeitszertifizierung für Gebäude dar, in denen bereits erste Circular Economy-Elemente in der Bewertung integriert sind.


© Tarkett Holding GmbH

Nachhaltige Produkte wie die Cradle to Cradle-zertifizierte Teppichfliesen von Desso, die zur Schaffung gesunder Räume beitragen, gewinnen für die Arbeitswelt der Zukunft verstärkt an Bedeutung.


An den wichtigsten deutschen Standorten haben mittlerweile so gut wie alle Gewerbeimmobilien das Thema Green Building als wichtigen Qualitätsfaktor und „must-have“ erkannt – und die nächste Generation an gesunden, kreislauffähigen und digitalen Gebäuden sind am Entstehen. Treiber dabei sind die höhere Wertstabilität, die EU-Gesetzgebung mit der Taxonomy sowie der gesellschaftliche Druck. Grüne und substanziell nachhaltige Themen werden als immer wichtiger angesehen: Denn in Zeiten, in denen Städte Klimanotstände ausrufen und Bewegungen wie „Fridays for Future“ für mehr Umweltschutz kämpfen, vergeht kein Tag mehr, an dem nicht über Auswirkungen des Klimawandels und die Zukunft unseres Planeten berichtet und diskutiert wird und somit der Handlungsbedarf immer sichtbarer wird. Und weil unserer Gesellschaft kein anderer Weg für eine enkelgerechte Zukunft verbleibt, werden Aspekte wie Energieeffizienz, regenerative Energien, positiver CO2-Footprint und Cradle to Cradle weiter an Bedeutung gewinnen. Profiteur dieser Entwicklung sind dabei ganz klar die Gebäudenutzer, die zukünftig in modernen, nach- haltigen und gesundheitsverträglichen Gebäuden und Arbeitswelten leben und arbeiten werden. Und so werden natürlich auch die Drees & Sommer-Mitarbeiter in Stuttgart-Vaihingen künftig in einem Bürogebäude der nächsten Generation arbeiten.

Peter Mösle (Dr.-Ing.), Partner bei der Drees & Sommer SE und Geschäftsführer der EPEA GmbH

Seit 1996 begleitet Peter Mösle von Stuttgart aus zahlreiche nationale wie internationale Projekte auf dem Weg zu Green Buildings. Neben den Bereichen Energiedesign, Energiemanagement und nachhaltige Quartiersentwicklung treibt er das Thema Cradle to Cradle als Geschäftsführer der EPEA GmbH – Part of Drees & Sommer in der Baubranche und darüber hinaus voran.

Peter Mösle ist Mitglied des Präsidiums des DGNB und als Vorsitzender für den Bereich Systementwicklung und Nachhaltige Stadtquartiere verantwortlich. Er studierte bis 1996 Maschinenbau mit der Fachrichtung Energietechnik an der Universität Stuttgart und Tucson, USA und promovierte 2009 an der Universität Stuttgart.



Dossier „Arbeitswelt reloaded“

Die Corona-Pandemie hat viele Entwicklungen beschleunigt, die über kurz oder lang ohnehin auf die Immobilienbranche zugekommen wären – gerade mit Blick auf die Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Sicher ist: Büros wird es weiterhin geben, geben müssen. Was sie dabei auszeichnet, welche Aspekte für den Arbeitsort künftig wichtig sind und für alle, die mit ihm in Verbindung stehen, widmen wir uns in zahlreichen Beiträgen und Interviews in unserem Dossier „Arbeitswelt Reloaded“.

Hier können Sie das gesamte Dossier "Arbeitswelt reloaded" kostenlos herunterladen:

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