Die nächste Generation der Mobilität

Dr. Konstantin Sauer ist Mitglied des Vorstands der ZF Friedrichshafen AG. Seine Karriere begann Sauer in den 1980er Jahren als Berater bei der intra-Unternehmensberatung in Düsseldorf und als Doktorand im Bereich Zentraleinkauf bei Daimler-Benz in Stuttgart. Im Jahr 1990 wechselte er zu ZF Friedrichshafen und begleitete dort verschiedene Führungspositionen. 2007 wurde er Geschäftsführer für Finanzen, Controlling, Informatik, Materialwirtschaft, Recht, Versicherung, Unternehmensbereich Pkw-Fahrwerktechnik, Dielingen, seit 2010 ist er Vorstandsmitglied und CFO.

Herr Dr. Sauer, wie sieht die Mobilität der Zukunft unter Berücksichtigung von Klimaschutz, Ressourcen und Wirtschaftlichkeit Ihrer Meinung nach aus?

Sauer: Megatrends wie die Digitalisierung verändern die Mobilitätsbranche noch schneller als erwartet. Das erfordert von uns als Technologiekonzern, dass wir neue Produkte schneller entwickeln und effizienter zusammenarbeiten. Um dies erfolgreich zu gestalten, haben wir unsere Strategie „Next Generation Mobility“ entwickelt. Sie ist Basis für alle unternehmerischen Entscheidungen und definiert unser Ziel, eine saubere und sichere Mobilität anzubieten. Automatisiert, komfortabel und bezahlbar. Für jedermann und überall. Dabei sind wir in vier Technologiefeldern aktiv – und zwar Vehicle Motion Control, Integrierte Sicherheit, Elektromobilität und Automatisiertes Fahren. Die Digitalisierung und das Internet der Dinge versetzen uns in die Lage, unsere Technologien in allen Mobilitätsanwendungen, aber auch in der Industrietechnik einzusetzen.

Wie entwickelt sich der Markt von morgen? Glauben Sie Kalifornien, Singapur, Tel Aviv und Shenzhen haben dem Standort Europa im Hinblick auf die Entwicklung neuer Technologien wie Autonomes Fahren den Rang abgelaufen? Und wie positioniert sich ZF auf dem Markt von morgen?

Sauer: Die Mobilität der Zukunft wird wesentlich komfortabler, individueller, nachhaltiger und vor allem effizienter sein als die urbane Mobilität des frühen 21. Jahrhunderts. Der sogenannte Modal Split, also das Umsteigen zwischen unterschiedlichen Mobilitätslösungen, wird vermutlich die Signatur der neuen urbanen Mobilität werden. In manchen Bereichen wird sich die Mobilität der Zukunft rasant wandeln. Mit dem strategischen Fokus auf die Next Generation Mobility erfassen wir nicht nur den bisherigen Individualverkehr und den Personen- und Gütertransport, sondern auch neue Mobilitätsformen. Auch für die sich etablierenden New Mobility Customer ist ZF mit seinem umfassenden Kompetenzspektrum gut gerüstet. Besonders erfolgreich wird sein, wer die Zukunftstrends frühzeitig erkennt, Lösungen antizipiert und Chancen ergreift, den disruptiven Wandel in der Automobilindustrie zu seinem Vorteil zu nutzen – egal ob im Silicon Valley, Tel Aviv oder mitten in Europa. Entscheidend sind die Innovationskraft und eine globale Aufstellung.

Was steht im Rahmen der Transformation von ZF bei Ihnen ganz vorne auf der Liste? Wie schaffen Sie einen nachhaltigen Transformationsprozess im Unternehmen?

Sauer: Wir arbeiten ständig daran, unsere Kostensituation, Prozesse und Strukturen weiter zu verbessern und die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. An der Zukunft sparen wir allerdings nicht und halten die Budgets für Forschung und Entwicklung weiter hoch. Außerdem binden wir unser Team in den Prozess ein, kommunizieren transparent und suchen gemeinsame Lösungen mit unseren Mitarbeitern. So sichern wir den Erfolg unseres Unternehmens nachhaltig.

Wie wirkt sich die Transformation auf Organisationskultur, Mitarbeiter und Unternehmensführung lokal und global aus?

Sauer: Immer wichtiger wird die interdisziplinäre Zusammenarbeit, da viele Prozesse und Entwicklungszyklen heutzutage deutlich schneller ablaufen als früher. Das können wir nur bewältigen, wenn wir in der Forschung und Entwicklung noch enger zusammenarbeiten und unser Wissen im Unternehmen noch stärker teilen, damit auch andere Abteilungen davon profitieren und wir Doppelarbeit vermeiden. Auch agile Arbeitsformen und Methoden sowie agile Führungskonzepte werden sich im Zuge der Transformation immer mehr durchsetzen.

Im Handelsblatt ist vor einigen Wochen ein Artikel erschienen mit der Aussage, E-Autos seien nicht der einzige Weg zur Klimaneutralität und einen Appell an die Politik, sich nicht einseitig festzulegen durch großzügige Förderungen und Regulierungen. Wie sehen Sie das? Und wie stellt sich ZF beim Thema E-Mobilität und Wassersoff auf?

Sauer: Wir bei ZF sind für die Transformation gerüstet und nehmen die Herausforderungen des Klimaschutzes an. Voraussetzung für den Erfolg ist eine technologieoffene Regulierung, die alle Pfade zur Emissionsreduktion öffnet. Diesen technologieoffenen Ansatz müssen wir schon deshalb verfolgen, weil wir liefern, was unsere Kunden ordern. Neben rein elektrischen Antrieben haben wir daher auch Plug-in-Hybrid-Antriebe im Produktprogramm, die unseren Kunden helfen, mit höchster Flexibilität in ihrer jeweiligen Produktion den Wandel von konventionellen zu rein elektrischen Antrieben in genau jenem Tempo zu gehen, wie es die Pkw-Käufer durch ihr Kaufverhalten vorgeben. Wir wollen alle möglichen Register ziehen – auch damit individuelle Mobilität erschwinglich bleibt. Besonders für Nutzfahrzeuge ist die Brennstoffzelle ein wirtschaftliches Antriebskonzept, denn für Spediteure ist es attraktiver, Güter statt schwere Batteriepacks zu transportieren. Und wenn wir an die Bestandsflotten denken, brauchen wir auch E-Fuels, denn Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren werden nicht über Nacht von den Straßen verschwinden. Und wir brauchen zusätzlich ganz neue und spannende Mobilitätskonzepte. Wenn wir einen breiten technologischen Ansatz wählen und wenn Politiker und Ingenieure gemeinsam Lösungen erarbeiten, steigen die Chancen, dass die Transformation der Automobilbranche klimapolitisch und industriepolitisch und auch gesellschaftspolitisch ein Erfolg wird.

Fridays for Future zeigt, dass die Jugend von heute anders leben, arbeiten und sich fortbewegen möchte. Auf welches veränderte Nachfrageverhalten müssen wir uns einstellen?

Sauer: Das veränderte Nachfrageverhalten junger Menschen ist ein wesentlicher Treiber des disruptiven Wandels in unserer Branche. Technologische Innovationen werden nicht mehr von den üblichen Marktführern getrieben, sondern von neuen Playern. Dabei verändern sich Produkte und Technologien in einem rasanten Tempo, aber auch Kundenstrukturen und Geschäftsmodelle – sprich: alle gewohnten Koordinaten des Geschäfts. Der Individualverkehr per Pkw wird ergänzt durch neue Mobilitätskonzepte wie autonom fahrende People Mover oder Robo-Taxis, die Mobilität je nach Bedarf anbieten. Auch autonome Ride-Hailing-Konzepte werden gerade in Städten einen Großteil der Mobilitätsbedarfe erfüllen. Wir haben uns auf dieses geänderte Nutzungsverhalten eingestellt und den Bereich neuer Mobilitätskonzepte in den vergangenen Jahren stark ausgebaut. Ein Beispiel ist 2getthere, eine Tochtergesellschaft von ZF, die bereits viel Erfahrung mit autonomen Shuttles hat und über die wir einen direkten Marktzugang besitzen.

Arbeitskosten sind ein entscheidender Faktor, um industrielle Wertschöpfung und Beschäftigung am Standort zu sichern. ZF ist ein global aufgestelltes Unternehmen. Wie stehen die Arbeitskosten im Vergleich zu anderen europäischen Ländern und inwieweit kann man diese auch als Wettbewerbsvorteil für Asien sehen?

Sauer: Arbeitskosten sind ein wichtiger Faktor im internationalen Wettbewerb, sie sind aber nicht allein ausschlaggebend im Entscheidungsprozess für oder gegen einen Standort. An welchem Standort welche Produkte in Zukunft konkret produziert werden, hängt von zahlreichen weiteren Faktoren ab, etwa von der Produktionsexpertise und der Wettbewerbsfähigkeit dieser Standorte oder vom Sitz unserer Kunden, die diese Produkte nachfragen.

Wie bewerten Sie den Jahresabschluss 2020 bei ZF, der sicher durch die Corona Pandemie deutlich beeinflusst wurde? War hier, wie bei anderen Unternehmen auch, das Chinageschäft Lebensretter?

Sauer: Bei ZF hat die Pandemie das Geschäft und den Umsatz spürbar beeinflusst, gerade auch durch den praktisch weltweiten Produktionsstillstand und den allgemeinen Lockdown im März und April. Im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres lag der ZF-Konzernumsatz um gut ein Viertel unter dem Wert des Vorjahres. Mittlerweile hat sich die Auslastung in etlichen Bereichen unseres Unternehmens deutlich verbessert – auch durch die positive Entwicklung auf dem chinesischen Markt und eine spürbare Erholung auch des US-Marktes. Das operative Ergebnis ist letztlich sogar positiv geworden – aber unterm Strich wird trotzdem ein deutliches Minus stehen. Konkrete Zahlen zum Jahresabschluss 2020 erörtern wir auf unserer Bilanzpressekonferenz am 18. März.

Und wie lautet Ihre Geschäftsprognose für 2021? Welchen Umsatzanteil wird dabei noch das Geschäft für Verbrennungsmotoren und welchen für die Elektromobilität haben?

Sauer: Eine Geschäftsprognose für das laufende Jahr kann ich erst zur Bilanzpressekonferenz nennen. Was den Umsatzanteil anbelangt: Wenn man auf den gesamten Umsatz im vergangenen Jahr schaut, dann hängen bei Pkw und Lkw unter 27 Prozent unseres Konzernumsatzes am Verbrennungsmotor – mit weiter rückläufiger Tendenz. Das schließt aber unsere sehr erfolgreichen Plug-in-Hybridgetriebe, die auch elektrisch fahren können, mit ein. Den Weg zur elektrifizierten Mobilität haben wir bereits vor nahezu 15 Jahren begonnen und führen ihn mit unserer Strategie „Next Generation Mobility“ fort.