Digitalisierung mit Wumms

Der gebürtige Bremerhavener Hagen Rickmann pendelt seit Beginn der Pandemie zwischen seinem Büro in Bonn und dem Homeoffice in Hamburg. Bei der Telekom ist er seit elf Jahren, seit 2015 als Geschäftsführer der Telekom Deutschland GmbH zuständig für den Geschäftskundenbereich. Seine Aufgabe und Passion ist die Digitalisierung des Mittelstands. Hagen Rickmanns berufliche Karriere begann nach Banklehre und Studium der Betriebswirtschaftslehre als Berater in einer Unternehmensberatung. Anschließend war er unter anderem Chief Financial Officer bei einem IT-Dienstleister und Geschäftsführer bei Hewlett Packard Enterprise.

Herr Rickmann, Unternehmen in Deutschland pflegen eine sehr eigene Art der Kooperation. Da wird viel von Offenheit gesprochen, aber wirklich offen zu sein, fällt schwer. Das ist in den USA anders. Woran liegt das?

Rickmann: Ich teile Ihren Eindruck. Ich habe das in den USA auch mitbekommen. Selbst wenn natürlich auch dort mit harten Bandagen gekämpft wird, sobald es ums echte Geschäft geht, hört man mehr zu und teilt mehr, weil man nicht nur den Markt vor Ort sieht, sondern immer gleich eine Nummer größer denkt. Das gilt besonders fürs Silicon Valley, wo ich vor etwa zehn Jahren eine Art Goldgräberstimmung erlebt habe. Die Geschwindigkeit der Entwicklungen war so enorm, dass es praktisch jeden Tag neue Möglichkeiten gab. Die Kultur der Kooperation in den USA ist sehr stark Top-down getrieben. Das ist bei uns anders, was daran liegt, dass wir es anders gelernt haben. Wir kommen mehr aus der Tüftlerecke, haben immer überlegt, ob wir nicht unser Fell verteidigen müssen. Das wird inzwischen besser, weil die Unternehmen merken, dass sie diese Reise nicht allein schaffen werden. Die neue Welt ist deutlich globaler, Skalierung ist alles.        

Die USA unterstützt Unternehmen durch große staatliche Fonds, China grenzt seinen Markt stark ab und fördert die eigene Wirtschaft sehr energisch. Sind wir ohne konsequente staatliche Flankierung in Europa überhaupt wettbewerbsfähig?

Rickmann: Nein, ich glaube nicht, dass wir das sind. Uns fehlt in Europa ein zentraler Anschub. Den würde ich mir zum Beispiel bei GAIA-X wünschen. Da geht es nicht ums Konzept, es geht auch nicht um eine Förderung, das Geld ist da. Es geht um die Nachfrage. Produkte werden dann groß, wenn sie breit gekauft werden und eine breite Akzeptanz finden. Das braucht manchmal eine Initialzündung durch den Staat, der ein Grundrauschen erzeugt und mit ihm einen Umsatzfluss, der unfassbar dabei hilft, weiter Geld zu investieren. In den USA waren es häufig hochgeheime Projekte durch das Militär, die neue Technologien flankiert haben – auch das Internet ist ein Stück weit darauf zurückzuführen. Parallel dazu hat sich eine extrem kapital- und risikofreundliche Investitionskultur entwickelt, die – wie man an den GAFAs und ein paar mehr Big Playern wie Microsoft sieht – eine solche Macht entwickelt hat, dass sich das System immer wieder selbst ernährt. Die Großen ziehen einen Riesenschuppen hinter sich her, es entstehen ständig neue Satelliten, die sich andocken können. China hat das in den vergangenen Jahren mit Unternehmen wie Huawei oder Alibaba hervorragend gemacht. Das ist alles zentral gesteuert und sehr intelligent gefördert. Wer da groß wird, hat sofort Vorteile in der heutigen technologischen Welt der Skalierung.

Sie widmen sich in Ihrer Arbeit intensiv der Digitalisierung des Mittelstands. Auf welchem Niveau bewegen sich deutsche und europäische Unternehmen und wie unterstützt die Telekom sie?

Rickmann: Der hiesige Mittelstand ist auf keinem schlechten Weg, aber bestimmt nicht perfekt unterwegs. Wir hinken hinterher. Nach der Finanzkrise haben wir ein phantastisches Wirtschaftswachstum hingelegt, aber vor lauter Wachstum den Weg der Digitalisierung nicht stark genug verfolgt. Die Corona-Krise hat alle stark getroffen, einige Unternehmen geben jetzt aber erst recht Gas. Das ist wichtig aus meiner Sicht. Wer bei der Digitalisierung nicht mitmacht, ist raus aus dem Spiel. Da sind so viele Möglichkeiten mit verbunden – neue Geschäftsmodelle, eine höhere Produktivität, nachhaltigere Produktionsmethoden, eine neue Kundenbetreuung. Als Telekom helfen wir zunächst einmal mit der Konnektivität und Infrastruktur durch den Ausbau des 5G- und des Glasfasernetzes. 5G haben wir schon stark ausgerollt, da werden bis Ende des Jahres 80 Prozent der Bevölkerung zugreifen können. Beim Glasfasernetz kommt auch richtig Wumms rein, da wollen wir zwei Millionen Menschen pro Jahr anschließen und bis 2024 oder 2025 zehn Millionen Haushalte erreicht haben. Das Thema Agile Arbeitsplätze ist uns auch wichtig, wir haben unsere Homeoffice-Kampagne massiv in den Markt getrieben. Der Software-Bereich mit Business-Applikationen wächst bei uns sehr stark. Die Lösungen sollen sicher sein und einen vernünftigen Service bieten.

Das Interesse der Unternehmen an 5G ist hoch. Viele sehen darin einen Katalysator für die Digitalisierung und die Industrie 4.0. Wie verändert 5G die Fertigung?

Rickmann: Massiv. 5G ist als Beschleuniger absolut notwendig. Warum? Weil die Ansprüche an die Geschwindigkeit des Datenaustauschs und den Durchsatz immer höher werden und die kabellose Vernetzung von Maschinen immer stärker. Jetzt kann man sich fragen, ob das wirklich notwendig ist, weil es ja nun nicht so schwer ist, Maschinen miteinander zu verkabeln. Aber man sollte den Aufwand von Zeit und Geld nicht unterschätzen, der nötig wird, wenn die Produktionsstraße agiler werden soll und man alles neu verkabeln muss. Egal ob Edge-Computing, Private oder Public Cloud – Sie brauchen künftig eine brutale Geschwindigkeit und hohe Verlässlichkeit von Rechensystemen. Die Welt wird schneller und präziser. In der Produktion geht es dann um den Ausschuss von Maschinen, um nächste Wartungsfenster, um Antizipation von Nachfrage mit KI – ermöglicht von Technik und Infrastruktur.

Die Flexibilität in der Produktion ist sicher ein großes Thema. Wir beobachten allerdings, dass viele Möglichkeiten unausgeschöpft bleiben, weil wir in Deutschland das perfekte Produkt austüfteln wollen, anstatt etwas mit einem möglicherweise nicht ganz fertigen Konzept zu wagen. Brauchen wir mehr Mut?

Rickmann: Dem kann ich nur zustimmen. Wir brauchen beides, die Präzision unserer Ingenieursfähigkeiten, die wir dringend weiter als unseren USP hochhalten müssen, aber auch mehr Geschwindigkeit auf dem Weg zu Piloten und Minimum Viable Products. Wir müssen schneller ausprobieren, ob ein Produkt am Markt reüssiert. Das liegt uns nicht so sehr im Blut, da müssen wir deutlich pragmatischer werden und eine höhere Fehlerkultur erlauben. Das geht mit einer neuen Generation, mit den heute 25- bis 35-Jährigen, denen wir mehr zutrauen und sie in Arbeit und Projekte kriegen müssen, ohne ihnen mit Herrschaftswissen zu begegnen. Es ist nicht mehr wie früher nur das Produkt entscheidend, sondern auch, wie ich es an den Mann bringe und fortentwickle.  

Also geht es um das vom Nutzer her gedachte Produkt, um den Customer-Gedanken, den die Amerikaner perfektioniert haben, der uns in Deutschland aber schwerzufallen scheint. Wie bringen Sie sich da bei der Telekom mit ein?

Rickmann: Es klingt einfach, sich vorzunehmen, zu jeder Zeit die Kundenperspektive einzunehmen, aber auch wir fallen immer wieder in alte Muster zurück. Dennoch gibt es drei Punkte bei uns. Erstens: Jeder von uns, auch das Topmanagement, ist angehalten, sich mindestens zweimal die Woche mit Kunden zu treffen. Zweitens: Wir heroisieren unsere Frontline. Die Geschichten, die wir dort hören, sind großartig. Zwar teilweise schwierig, aber man kann nicht besser lernen als an der Kundenfront. Und drittens: Wir arbeiten viel mit Partnern, weil sie viele Impulse geben, was wirklich läuft am Markt. In diesen Zeiten ist der Austausch genauso wichtig wie das eigene Projekt.

Um Partnerschaften und Kollaborationen geht es auch bei „TechBoost“, einem Telekom-Programm, das Bestandteil unserer Themenreise ist und mit dem Sie Startups unterstützen und mit etablierten Unternehmen zusammenbringen. Was erhoffen Sie sich davon?

Rickmann: Wir haben „TechBoost“ vor drei, vier Jahren gestartet und mittlerweile sind 600 Startups mit unterschiedlichen Technologie- und Branchenschwerpunkten dabei. Unsere Mission ist ein nachhaltiges Wachstum für alle. Es geht darum, junge Unternehmen mit angestammten zu verbinden, die vielleicht nicht ganz so radikal und schnell unterwegs sind, sie zu inspirieren und transformieren und eventuell neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Natürlich sind wir als Telekom nicht nur altruistisch unterwegs. Wir haben Beteiligungen an den Startups und wenn einer der 600 zu einem Unicorn wird, wäre das nicht schlecht. Außerdem sollen sie vorwiegend unsere Infrastruktur nutzen, die – so viel sei mir erlaubt zu sagen – natürlich die beste ist. Zu guter Letzt: Wenn ich meine Organisation permanent mit so vielen agilen, neuen Unternehmen konfrontiere, ändert sich die Telekom auch. Das ist ein Riesenhebel und das tut uns gut.

Stichwort Veränderung: Welche Nachhaltigkeitsziele verfolgen Sie?

Rickmann: Das ist ein Topthema für uns. Wir wollen als europäischer Telekommunikationschampion Vorreiter sein für eine Hand in Hand gehende Ökologie und Ökonomie und verfolgen deswegen ambitionierte Ziele. Spätestens bis 2025 wollen wir intern alles auf Grünstrom umgestellt haben, insgesamt sollen die CO2-Emissionen pro Kunde bis 2030 um 25 Prozent reduziert werden. Wir geben Dachflächen frei, probieren andere Zusammenarbeitsmodelle. Zur grünen Vorzeigecompany werden wir es nicht ganz schaffen, weil wir in erster Linie mal Energieverbraucher sind, und das ordentlich. Aber wir investieren eine ganze Menge im Sinne der Nachhaltigkeit.   

Der Anteil der Rechenzentren am Energieverbrauch nimmt stetig zu. Wie lässt sich das nachhaltiger gestalten?

Rickmann: Sie können vieles durch die Gebäudetechnik und die Wiedergewinnung von Energie erreichen. Für unsere Data Center arbeiten wir seit fünf bis sieben Jahren an Konzepten für mehr Effizienz. Man muss die beispielsweise nicht auf 25 Grad runterkühlen, 32 Grad sind auch in Ordnung. Meine Prognose ist: Die Rechenleistung und die Nachfrage werden weiter hochgehen, aber wir werden es dennoch irgendwann schaffen, den Verbrauch zu stabilisieren.

Lassen Sie uns zum Abschluss noch einmal auf 5G zurückkommen. Welchen Beitrag können aus Ihrer Sicht Unternehmensimmobilien bei der 5G-Versorgung von Städten und Quartieren leisten?

Rickmann: Sie können als Standorte für die Antennen dienen, da brauchen wir viele in engeren Abständen. Wir können eine Antennenversorgung auch über die Dachflächen gewinnen, wenn wir dort Sonnenergie in Strom umwandeln. Das verfolgen wir bereits – und werden dadurch auch schon klimaneutraler.