Von Ameisen und Bienen lernen

Dr. Felix Lee ist Managing Director Overseas bei EHang, einem weltweit fürhrenden Technologieplattformunternehmen für autonome Luftfahrzeuge (Autonomous Aerial Vehicle bzw. AAV) mit dem Hauptsitz in Guangzhou, China. EHang bietet Kunden in verschiedenen Branchen AAV-Produkte und kommerzielle Lösungen: Luftmobilität (einschließlich Personenbeförderung und Logistik), Smart-City-Management und Luftmedienlösungen. Felix Lee ist EHang's Spezialist für grenzüberschreitende Investitionen, Industrialisierung und Projekte. Er unterstützt EHang mit seinem umfassenden technologischem Know-how in verschiedenen Sektoren und mit internationaler Expertise in der Geschäftsentwicklung. Zuvor leitete er die China Growth Strategie und die strategische Geschäftsentwicklung und kümmerte sich um die Portfoliounternehmen beim Aufbau und der Strukturierung in China.

Felix Lee hat einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften und einen Master in  Wirtschaftsinformatik. Er spricht fließend Deutsch, Englisch und Chinesisch und schlägt die Brücke zwischen China und Europa. Mit 15 Jahren Erfahrung in der grenzüberschreitenden Geschäft, einer starken Erfolgsbilanz und der Expansion nach Asien und Europa ist er eine starke Säule für den zukünftigen Erfolg von EHang.​​​​​​

Herr Lee, seit wann arbeitet EHang an autonomen Lösungen in der globalen Urban Air Mobility Branche und was waren die ersten Schritte?

Lee: EHang hat 2013 auf der Suche nach einem neuen Konzept für sichere Flugobjekte das erste AAV erforscht. Anlass war der tödliche Unfall eines Pilotentrainers. Wir haben uns von Anfang an aufs autonome batteriebetriebene Fliegen konzentriert und jede Chance genutzt, um Erfahrungen zu sammeln, wie viele kleine, gleichzeitig fliegende Cargo-Drohnen miteinander kommunizieren und sich arrangieren können. Auf Basis dieser Erfahrungen haben wir unser System für Flugtaxis entwickelt. Heute sind wir die erste im Nasdaq gelistete Flugtaxi-Firma. Die erste, die die Genehmigungen für viele Testflüge mit Menschen bekommen hat. Und wir werden die erste sein, die in die Massenproduktion geht mit einer Jahreskapazität von 600 Einheiten in China. In der Rangliste der technischen Leadership und der Wertkette wollen wir immer vorne bleiben.   

Abgesehen von den Bereichen Cargo und Flugtaxis: Wo könnten Ihre AAVs noch Anwendung finden?

Lee: Wir haben zum Beispiel eine Drohne für die Feuerbekämpfung entwickelt. Für die Versorgung von Gasplattformen oder bei medizinischen Notfällen gerade in ländlichen Gebieten gibt es ebenfalls einen Use Case. Den größten Reifegrad haben wir bei der Drohnenshow – mit 1000 Drohnen am Himmel, jeder wie ein Pixel. In diesem Gebiet sind wir der Haupttreiber auf dem chinesischen Markt und wollen das auch in Europa werden.      

Eine Drohne für die Feuerbekämpfung – das klingt interessant! Wie müssen wir uns das vorstellen: Kommt die hauptsächlich bei Wolkenkratzern zum Einsatz, wenn die Feuerwehr Schwierigkeiten hat, Brände zu erreichen?    

Lee: Wolkenkratzer sind einer von drei Anwendungsbereichen. Der zweite liegt bei Tankstellen für Elektroautos, da die Brandgefahr bei Elektroautos höher ist und es eine schnelle Reaktion braucht. Auch bei Waldbränden können die Drohnen helfen, weil sie mit Sensoren ausgestattet sind, die einen entstehenden Waldbrand in einer frühen Phase erkennen. Die Drohnen werden nie in der Lage sein, Großbrände zu löschen; dazu sind die Kapazitäten und die Reichweiten zu klein. Aber wenn wir rechtzeitig löschen, wird das Feuer gar nicht erst zum Großbrand. Wir sind dazu schon in Gesprächen mit Behörden in Kalifornien und Mexiko, wo es sehr trocken ist.  

Wann werden wir in Europa mit EHang-Flugtaxis unterwegs sein?

Lee: Mein Gefühl sagt mir, dass es realistisch gesehen noch mindestens fünf bis acht Jahre dauern wird. Der Genehmigungsprozess ist sehr, sehr komplex. Da geht es um die Sicherheit, um die Integration unseres Systems in den bestehenden Flugverkehr, auch um ethische Fragen. Wir brauchen ganz neue Richtlinien. Aber es gibt in Europa gerade viele Förderprojekte, die es uns ermöglichen, mit lokalen Partnern gemeinsam zu forschen und zu testen.

Eines dieser EU-Förderprojekte heißt Horizon 2020-Projekt AMU-LED. Zusammen mit weiteren Schwergewichten wie Everis Aerospace & Defense und Airbus arbeitet EHang an einem Beitrag für nachhaltige Mobilität in Smart Citys. Was erwarten Sie sich von der Teilnahme?  

Lee: Eine Diskussion über die Zukunft der Stadt und ihrer Mobilität. Da haben wir ein eigenes Verständnis, aber wir sind noch in der Lernphase. Wir wollen wissen, was wir zu beachten haben, um künftig ein Geschäft in Europa betreiben zu können. Es geht nicht nur um sprachliche Verständigung, sondern auch um den Austausch über Werte und gemeinsame Ziele. Wir entwickeln zusammen industrielle Standards.

Und dennoch dauert es noch mindestens fünf zu acht Jahre bis zur Einführung kommerzieller Drohnen und Flugtaxis? Das Wirtschaftsmagazin Forbes sprach jüngst von einem in Europa erreichten Meilenstein auf dem Weg dahin. Müssen wir vielleicht doch nicht so lange warten?

Lee (lacht): Solche Artikel sind natürlich schön. Aber unser sehr erfolgreicher Test Anfang September 2021 in Estland, um den es in dem Text ging, war nur ein kleiner Minischritt in einer Reihe vieler Phasen von der Idee zum Konzept, vom Konzept zum Design, vom Design zu einem Prototyp, vom Prototyp zu einem Produkt, vom Produkt zu einem Geschäft. Das ist, wie bei jeder disruptiven Innovation, das zentrale Ziel: ein Business aufzubauen. Bis dahin gibt es noch viel zu tun. Wer früher mit einem kommerziellen Flugtaxi unterwegs sein will, muss nach China – dort ist das wahrscheinlich schon dieses oder nächstes Jahr möglich. Wann es in Europa soweit ist, liegt nicht in der Hand von EHang.     

In welchen europäischen Ländern haben Sie sonst noch Pilotprojekte?

Lee: In Österreich, Finnland und Polen, wobei wir auch Gespräche in den Niederlanden, Frankreich, Deutschland, Spanien und Portugal führen und natürlich mit der EASA, der obersten europäischen Luftfahrtbehörde. In Österreich beschäftigen wir uns gemeinsam mit der Linz AG mit der Frage, welchen Beitrag EHang zur multimodalen Mobilität leisten kann. Für unseren Rollout ist es wichtig zu wissen, welche Rolle wir haben: Sind wir Hersteller, Anbieter von Lösungen oder Betreiber?       

Gibt es neben rechtlichen auch technische Hindernisse in Europa? 

Lee: Generell ist die technische Entwicklung ein Prozess, der nie endet. In der Luftfahrt haben immer die Sicherheit und die Zuverlässigkeit die höchste Priorität. Gleichzeitig muss das Produkt bezahlbar bleiben. Europa ist auf den Gebieten der Elektrifizierung und der Metallverarbeitung gut, aber die Luftfahrt war schon immer sehr international, Flugzeuge waren noch nie nur Made in China, USA oder Europa. Die internationale Zusammenarbeit wollen wir weiterführen und vertiefen, weil auch EHang mit seinen Stärken in der Software und der Forschung strategische Partner etwa für die Hardware braucht. Die FACC AG aus Österreich ist unser Produktionspartner für den europäischen Markt.

Woran denken Sie bei EHang, wenn Sie über nachhaltige Mobilität in Smart Citys denken?

Lee: Die besten Vorbilder für uns sind Ameisen oder Bienen – wegen ihrer kollektiven Intelligenz. Das gilt grundsätzlich für jede Form der Mobilität. Warum haben wir so viel Stau? Weil jedes Fahrzeug nur eine einzelne Box ist. Wir haben es bis heute nicht geschafft, einen Informationsfluss zwischen den beweglichen Objekten herzustellen – nicht nur denen auf dem Boden, sondern auch denen in der Luft und im Untergrund. Wir brauchen eine Plattform für mehr Dynamik und Flexibilität in der Mobilität, mit deren Hilfe die Menschen je nach Wunsch schnell oder günstig von A nach B kommen. Das ist natürlich hochkomplex, aber nur mit solchen Plattformen können wir den Energieverbrauch optimieren. Unsere Flugtaxis sind nur ein Teil dieses größeren Konzepts.   

Wie sieht es bei der Logistik in der Stadt der Zukunft aus?

Lee: In China testen wir Logistikkonzepte mit unseren Drohnen und mit Waren von McDonalds und Starbucks. In der Logistik sehen wir unsere erste Anwendung. Allerdings ist der wichtigste Faktor für die Wirtschaftlichkeit, dass der gesamte Prozess so gut wie möglich automatisiert ist, vom Laden über den Transport bis zur Ablieferung. So weit sind wir noch nicht.     

Ganz grundsätzlich gilt aber auch bei EHang: Die Zukunft liegt in der E-Mobilität?

Lee: Ja, mit Strom aus erneuerbaren Energien. Nur dann hat das Ganze Sinn. Für die Smart City ist das smarte Stromnetz grundlegend. Wir brauchen neue Wege, wie wir Strom erzeugen, speichern und effektiv nutzen. Deswegen ist es wichtig, dass eine Firma wie wir mit Erzeugern und Netzbetreibern über den Effekt der E-Mobilität auf die Infrastruktur spricht und darüber wie wir Blackouts verhindern können. In China gab es zuletzt vielerorts einen Strommangel. So etwas könnte es künftig weltweit häufiger geben, wenn alles auf Elektrizität basiert.

Sie haben das Schlagwort erneuerbare Energien eben genannt. Wie bringen Sie die Themen Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit zusammen?

Lee: Da gibt es ja ein Paradox: Brauchen wir wirklich alle zwei Jahre ein neues iPhone? Aus technischer Perspektive nein, aus wirtschaftlicher Sicht von Apple ja. Wir haben die Intention, die Lebensdauer aller Komponenten unserer Flugtaxis zu erhöhen, um CO2-Ausstöße durch die Produktion zu vermeiden. Wir wünschen uns außerdem eine Allianz aller Flugtaxi-Produzenten, um Standards fürs Recycling zu entwickeln. Das ist wichtig, weil eine Batterie nach acht bis zehn Jahren ausgetauscht werden muss, wie man bei Tesla gerade sieht.

Sie streben eine Allianz mit ihrer Konkurrenz an? Das sind doch alles Mitbewerber.

Lee: Ja und nein. Was bedeutet denn Wettbewerb? Dass es einen Markt gibt und jeder versucht, ein größeres Stück vom Kuchen zu bekommen. Wir haben diesen Markt aber noch nicht. Was wir haben, nennen wir in China einen „Blue Ocean“. Es gibt verschiedene Hersteller mit unterschiedlichen Konzepten in einem Wettrennen, in dem jeder der erste sein will, der es in die Kommerzialisierungsphase schafft. Noch reden wir nicht mit unserer Konkurrenz, aber es wird sinnvoll werden, das zu tun, wenn es beispielsweise um die künftige Infrastruktur geht, die wir gemeinsam nutzen werden. Das ist wie auf einer Autobahn. Da fahren ja auch Volkswagen, BMW, Mercedes, Nissan, Peugeot, Toyota und so weiter nebeneinander. 

Was sind die nächsten Schritte von EHang, wie lautet Ihre Wachstumsstrategie?

Lee: In China wollen wir als Serviceanbieter für Flugtaxis bis 2023 in mehreren Kommunen und Regionen auf 100 Linien mit Tausenden Vehikeln unterwegs sein. In Europa gilt es, all das, was wir schon vereinbart haben, mit einem guten Resultat zu liefern. Der zweite Schritt ist, weitere Investoren und Partner für lokale Projekte zu finden. Wir sind überzeugt, dass die Globalisierung weiter bestehen wird, es aber eine Tendenz zu einer größeren Lokalisierung gibt. Ein wesentlicher Schritt sind die Gespräche mit der Federal Aviation Administration in den USA und mit der europäischen EASA über die Zulassung. Da reden wir über Mindestkosten im dreistelligen Millionenbereich und wir müssen weiteres Kapital gewinnen. Aber wir werden auch dafür eine Lösung finden.

Und welche Lösung haben Sie, um ganz am Ende den Menschen von Ihrem Produkt zu überzeugen?

Lee: Ich glaube, dass es in Europa noch immer einen großen Enthusiasmus gegenüber dem Fliegen gibt. Außerdem lieben Menschen das Abenteuer. Um Akzeptanz für unsere Flugtaxis zu bekommen, müssen wir die Menschen partizipieren lassen, um ein Verständnis zu schaffen. Bis es normal ist, dass jeder mit einem Flugtaxi unterwegs sein kann, müssen wir in vielen Pilotprojekten beweisen, dass es funktioniert. Und dass es sicher ist.