Weltverbesserung in kleinen Schritten

Interview mit Steffen Hebestreit, Projektmanager bei INTERBODEN Innovative Gewerbewelten®

Steffen Hebestreit begann seine berufliche Karriere mit einer Ausbildung zum Tischler, studierte anschließend Architektur und machte an der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft einen Abschluss als Master of Business Administration (MBA) im Bau- und Projektmanagement. Er hat mehr als zehn Jahre Erfahrung in der operativen Entwicklung von Projekten für Gewerbe- und Büroimmobilien. Als Projektleiter von The Cradle, dem ersten Holzhybrid-Bürogebäude in Düsseldorf, ist er treibende Kraft des Pilotprojekts für die zukunftsfähige Stadt, das 2022 abgeschlossen sein soll.

Herr Hebestreit, welche Kriterien sollten Betriebe aus Ihrer Sicht beachten, wenn sie heute neue Standorte bauen wollen?

Hebestreit: Das hängt natürlich stark von der Branche ab. Unternehmen mit digitalen Produkten sind ortsunabhängiger, Betriebe aus dem produzierenden Gewerbe brauchen eine gute Infrastruktur. Wenn sie viel Lkw-Verkehr anziehen, wollen wir sie natürlich nicht in den Städten haben. Trotzdem finde ich es wichtig, dass der Standort ein gastronomisches Umfeld hat, vor allem bei Firmen mit vielen Mitarbeitern. Die müssen dann nicht extra eine Betriebskantine bauen und betreiben und die Gastronomie in der Nähe profitiert auch von der Nachbarschaft.

Hat die Corona-Pandemie die Kriterien für Immobilien geändert?

Hebestreit: Unabhängig von Corona entwickeln wir bei INTERBODEN Immobilien immer sehr flexibel. Da gibt es zum Beispiel nie nur Großraumbüros oder Einzelbüros. Im Wort „immobil“ steckt ja schon drin, dass Gebäude nicht mobil sind, also müssen sie flexibel sein, sowohl in ihrer Aufteilung als auch in ihrer Nutzung. Es ist eine Herausforderung, die uns auch in Zukunft beschäftigen wird.

„Aufbruch zur nachhaltigen Transformation“ ist der Titel der Themenreise 2021. Transformation im Bereich Immobilien heißt derzeit vor allem, der fortschreitenden Digitalisierung gerecht zu werden. Welche Voraussetzungen müssen Gebäude dafür erfüllen?

Hebestreit: Das gelingt nur, wenn eine Anbindung mit Glasfaser oder ähnlichem gegeben ist. Das Gebäude selbst braucht eine funktionierende und belastbare IT-Infrastruktur, die gepflegt und aktiv begleitet werden muss, damit das Unternehmen Daten bündeln und mit ihnen arbeiten kann. Das heißt für Firmen, die das bisher an einen Dienstleister ausgelagert haben, dass sie wahrscheinlich eigene Mitarbeiter benötigen. Bei Neubauten müssen sie die Infrastrukturfrage schon im Planungsprozess berücksichtigen. Wir nutzen ein BIM-Modell, arbeiten also mit einem digitalen Zwilling. Wir wissen immer genau, welches Material und welche Rohstoffe wann und wo verbaut werden. Unter anderem darum geht es bei Cradle to Cradle und dem zirkulären Bauen: Niemand kann sagen, was in 20, 50 oder 100 Jahren passiert, aber wir können der Nachwelt Informationen zur Verfügung stellen und ihr sagen: Ihr müsst nicht den Amazonas niederbrennen, um an Rohstoffe zu kommen. 

Was sind aus Nachhaltigkeits- und Cradle-to-Cradle-Sicht die wichtigsten Punkte, um sich mit eigenen Unternehmensimmobilien erfolgreich aufzustellen?  

Hebestreit: Als erstes müssen Firmen, um nachhaltig zu sein oder zu werden, eine Art Benchmarking durchführen. Sie müssen prüfen, wo sie stehen und dann jedes Jahr oder alle paar Jahre vergleichen, an welchem Punkt sie dann sind und ob das, was sie getan haben, wirkungsvoll war. Sie müssen prüfen, ob es zum Beispiel sinnvoll ist, die komplette Beleuchtung auf LED umzurüsten oder das eher zweitrangig ist, weil es anderswo höhere Energieverbräuche gibt. Die Unternehmen müssen sich die Big Points vornehmen, bevor sie sich um die verbliebenen ein, zwei Prozent kümmern. Ebenfalls wichtig: Es muss jemand Verantwortung übernehmen, und zwar nicht on top zu seinen übrigen Aufgaben. Das ist ein Full-Time-Job, da geht es nicht nur darum, ob die Mitarbeiter weniger auf Papier drucken. Greenwashing führt zu nichts, die Person und das Unternehmen müssen dahinterstehen, die Nachhaltigkeitsziele müssen messbar, verständlich und nachvollziehbar sein.

Das setzt bestenfalls eine positive Strahlkraft frei, siehe das Rathaus in der niederländischen Gemeinde Venlo. Welche Erfahrungen kann man von diesem Projekt mitnehmen?

Hebestreit: Venlo ist ein Leuchtturmprojekt und hat dazu geführt, dass sich in der Region Firmen darauf spezialisieren, nur noch Cradle-to-Cradle-Produkte herzustellen, seien es Straßenschilder oder Flaschen. In der Baubranche gibt es viele Firmen, die behaupten, sie seien nachhaltig und die auch ein Zertifikat vorweisen können, aber man muss genau nachfragen, wie nachhaltig sie wirklich sind. Es gibt positive Beispiele, wie ein Unternehmen, dass seine Teppichfliesen zurücknimmt und neue daraus macht. Ich glaube, es wird in den nächsten Jahren eine Zunahme von Cradle-to-Cradle-Produkten geben, was es dann Architekten und Projektentwicklern einfacher macht nach diesem Prinzip zu planen und umzusetzen. In Deutschland habe ich von Gütersloh, München und Berlin gehört, dass sie Kreislaufstädte werden wollen. Da geht es nicht nur um Gebäude, sondern auch um Müllvermeidung und Flächenrecycling. Das ist das Schöne an Cradle to Cradle: Es ist allumfassend, es ist Weltverbesserung in kleinen Schritten.

Mit The Cradle baut INTERBODEN in Düsseldorf ein bemerkenswertes Pilotprojekt für die Stadt der Zukunft. Was muss die Gebäude- und Stadtentwicklung von morgen berücksichtigen?

Hebestreit: Mischnutzungen nehmen zu. Es wird weniger reine Wohn- oder Büroquartiere geben und seltener vorkommen, dass jemand im Ein-Familien-Haus im Vorort wohnt, mit dem Auto zur Arbeit in die Stadt oder in ein Industriegebiet fährt, dort acht Stunden bleibt und dann wieder nach Hause fährt. Wer keine Pendelwege von 50 bis 100 Kilometern mehr hinter sich bringen muss, spart Zeit und Kosten und schont die Umwelt. Um Wohnen und Arbeiten stärker zu verbinden, müssen wir besser gestaltete Aufenthaltsorte schaffen und bestehende Gebäude entsprechend umnutzen. Das Thema Sharing gewinnt weiter an Bedeutung – wir sharen Immobilien, Autos, Parkplätzen oder andere Produkte. Im Optimalfall nutzen die Menschen künftig noch stärker den öffentlichen Nahverkehr – oder fahren Rad.

Das mobile Arbeiten wird weiter zunehmen?

Hebestreit: Klar, durch die Digitalisierung bietet sich das an. Fünf Tage die Woche Homeoffice ist aber sicher nicht die Lösung für alles. Es sollte da schon Hybridlösungen geben.    

Dennoch: Welche Auswirkungen hat das verstärkte mobile Arbeiten?

Hebestreit: Wir brauchen weniger Platz für den Verkehr, können also fürs Auto optimierte Städte lebenswerter gestalten und uns Raum zurückholen. Weil wir uns sehr viel innerhalb von Gebäuden aufhalten, dürfen diese Innenräume nicht schädlich sein. Das ist ein Grundprinzip von Cradle to Cradle und sollte eigentlich selbstverständlich sein. Wenn wir aber heute Messungen durchführen, würden wir in vielen Fällen lieber nicht wissen wollen, wie giftig unsere Innenräume sind.

Und wie machen Sie das Wohnen in solchen Mischquartieren attraktiv?

Hebestreit: Wir haben in die Richtung bereits einiges entwickelt und immer darauf geachtet, dass es Kitas, durchgängige Parkgaragen, eine Ladeinfrastruktur und Restaurants in der Umgebung gibt. Wir sind auch mit Einzelhändlern im engen Austausch, das ist fürs Wohnen im Alter wichtig. Barrierefreie Immobilien sind mittlerweile Standard, ohne dass es wie im Altenheim aussehen muss. So hält man die Familien in den Quartieren. Die müssen sich kein überteuertes Eigenheim im Stadtrandgebiet kaufen, aus dem sie im Alter wieder aus- und in die Stadt zurückziehen. Wer ein für alle Generationen wohnliches Umfeld schaffen will, darf nicht nach einem Schlüssel für den größtmöglichen Projektgewinn bauen, sondern muss Immobilien flexibel planen, etwa so, dass er Zwei-Zimmer-Appartements unkompliziert in Ein-Zimmer-Appartements umwandeln kann oder umgekehrt. Das erfordert natürlich mehr Planungsknowhow und ein höheres Investment.     

Ist das der Grund dafür, dass ein Vorbildprojekt wie The Cradle nicht schon viel häufiger Nachahmer nach sich gezogen hat?

Hebestreit: Es ist natürlich eine andere Hausnummer, wenn man wie wir nicht für einen feststehenden Nutzer auftritt sondern als echter Projektentwickler. Wenn ich die Immobilie nicht für mich selbst entwickle und nutze, ist das vielleicht kein so interessantes Geschäftsmodell. Wir haben uns mit allem befasst, was die Bewirtschaftung angeht und auch das Thema Leasing angeschaut. Für Betriebe, die sich selbst einen neuen Standort bauen wollen, wäre ein Gebäude wie The Cradle sehr interessant, weil man sich inzwischen bei einigen Herstellern sogar die Fassade leasen kann. Langfristig bietet es natürlich Vorteile, wenn ich mein Gebäude später nicht einfach abreißen muss, sondern sehen kann, wie viel Wert die verwendeten Bau- und Rohstoffe haben. Vielleicht wird es dann so etwas wie Rohstoffbörsen geben, an denen ich die Materialien anbieten kann. Mein größter Traum ist es, in meinem Leben einmal mit Materialien aus einem früheren Projekt ein neues Gebäude zu bauen.     

Wie kriegen wir mehr Tempo und Dynamik in die Entwicklung?

Hebestreit: Das ist schon im Rollen. Wir sind da bei INTERBODEN nur Vorreiter. Durch die CO2-Steuer, die ESG-Kriterien und Fridays for future sind die gesetzlichen Wege geebnet. Die Nachhaltigkeitskriterien, die sich auch große Aktienkonzerne auferlegt haben, lassen es gar nicht anders zu, als künftig nach C2C-Kriterien zu bauen. Ein Problem derzeit liegt darin, dass schädliche Materialien zu günstig und die Grundstückspreise zu hoch sind. Viele Projektentwickler sagen mir, dass sie sich beispielsweise eine mineralische Dämmung nicht leisten können und am Material sparen müssen, weil sie sonst am Markt nicht den Preis für ihr Gebäude bekommen. Da muss also entweder die Politik steuerlich gegensteuern oder die Hersteller müssen beschließen, dass sie solche schlechten Materialien nicht mehr produzieren. 

Wie lautet ihr Wunsch, wie es mit The Cradle weitergehen soll?

Hebestreit: Ich wünsche mir, dass alle Firmen weiter mitziehen und wir einen tollen Mieter und/oder Käufer finden, der überzeugt ist vom Prinzip C2C und der das digitale Gebäudemodell pflegt. The Cradle soll ein Vorbild sein für noch größere Gebäude und ganze Quartiere. Wir wollen dranbleiben, wir wollen hartnäckig sein, um dieses positive Thema weiter voranzutreiben.