Eine Norm für das Bauen mit Weitsicht
Als bahnbrechende Norm für das nachhaltige Bauen lässt sich SIA 390/1 bezeichnen. Die Norm ist seit dem 1. Februar 2025 gültig und löst den bisherigen SIA-Effizienzpfad Energie ab. Damit vollzieht sich ein grundlegender Paradigmenwechsel.
Mit der Einführung der SIA 390/1 erhält die Schweiz ein zukunftsweisendes Instrument zur Reduktion der Treibhausgasemissionen (THGE) im Gebäudebereich. Die Norm ist seit dem 1. Februar 2025 gültig und löst den bisherigen SIA-Effizienzpfad Energie ab. Damit vollzieht sich ein grundlegender Paradigmenwechsel: Statt der Energieeffizienz stehen nun die THGE als zentrale Leitgrösse im Fokus – und damit der direkte Beitrag eines Gebäudes zum Klimawandel. Die SIA 390/1 definiert erstmals einen verbindlichen Absenkpfad für THGE bis 2050 und schafft ein einheitliches Verfahren zur Ökobilanzierung über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes. Neu ist dabei insbesondere, dass nicht nur der Betrieb, sondern auch die Erstellung – inklusive Bauprozesse und Materialwahl – systematisch berücksichtigt wird. Mit dieser ganzheitlichen Ausrichtung schafft die Norm erstmals eine belastbare Grundlage für klimaverantwortliches Bauen und liefert einen messbaren Beitrag zur Erreichung des Netto-Null-Ziels.
Planungs- und Entscheidungsgrundlage für die Praxis
Die SIA 390/1 bietet Bauherrschaften, Investoren und Planenden ein wirkungsvolles Werkzeug für die nachhaltige Projektentwicklung. Sie schafft Transparenz durch einheitliche Ziel- und Kennwerte, die eine direkte Vergleichbarkeit von Neu- und Umbauten ermöglichen. Frühzeitige Ökobilanzierungen zeigen die grössten Hebel, ermöglichen eine frühe Optimierung und erhöhen damit die Planungssicherheit. Klare Ziel- und Richtwerte für Erstellung, Betrieb und Mobilität bilden die Basis für belastbare Investitionsentscheide sowie für das kontinuierliche Monitoring und die Steuerung der Projekte auf einer übergeordneten Ebene.
Nachhaltige Gebäude erhöhen ihre Marktattraktivität und positionieren sich zugleich strategisch vorausschauend im Hinblick auf aktuelle und zukünftige kantonale Energiegesetze und CO₂-Vorgaben. Zwar ist die Anwendung der Norm derzeit nicht gesetzlich verpflichtend, sie bietet jedoch eine breit anerkannte Methodik, um geeignete Zielwerte im Hinblick auf nachhaltiges und kreislauffähiges Bauen zu setzen. In der Praxis ist zu erwarten, dass sie sich zunehmend als Standard in Ausschreibungen und Wettbewerbsprogrammen etabliert. Weiter eröffnet die neue Norm eine Chance, eine starke Klimastrategie auf Unternehmens- und Portfolioebene zu verankern. Der Klimapfad lässt sich direkt in die Asset- und Projektsteuerung integrieren und entfaltet dort echte Steuerungswirkung.
Systematik und Anforderungen auf Gebäudeebene
Im Fokus der Norm steht die konsequente Emissionsvermeidung – Negativemissionen werden nicht angerechnet. Damit stärkt die Norm die stringente Reduktion entlang des gesamten Lebenszyklus. Der Lebenszyklus-Ansatz der Norm umfasst sämtliche Phasen eines Gebäudes – von der Erstellung (graue Emissionen) über den Betrieb bis hin zur Mobilität. Dabei werden die Emissionen entlang der Systemgrenzen Scope 1 bis 3 bilanziert. Zusätzlich erlaubt die Norm alternative Bezugsgrössen wie Treibhausgasemissionen pro Person oder Arbeitsplatz – ein wichtiger Beitrag zur Darstellung suffizienter Nutzungskonzepte. Statt starrer Vorgaben setzt die Norm auf projektspezifische Strategien. Sie definiert zwei Ambitionsniveaus: Zielwert B dient als Basis und orientiert sich an den bisherigen Vorgaben der SIA 2040, während Zielwert A besonders ambitionierten Projekten vorbehalten ist, welche die Grenzen des heute Machbaren ausloten. Ein zentrales Prinzip ist der Vorrang von Umbauten gegenüber Ersatzneubauten, da bestehende Gebäude häufig deutlich geringere THGE verursachen. Auch die Wiederverwendung von Bauteilen (Re-Use) spielt eine wichtige Rolle und kann die Emissionen in der Erstellungsphase um bis zu 20 % senken. Der Eigenverbrauch von Solarstrom wird bei der Bewertung berücksichtigt, wobei Herkunftsnachweise zwingend erforderlich sind. Verbesserungen durch nachgelagerte Negativemissionen werden in dieser ersten Version der Norm (noch) nicht anerkannt – der Fokus liegt auf dem aktuell massiv grösseren und bei weitem wirtschaftlicheren Hebel der Vermeidung von Emissionen.
Den Ausgangspunkt für eine wirksame Umsetzung in Bau- und Sanierungsprojekten bildet eine standardisierte Ökobilanzierung. Dabei werden sämtliche relevanten Daten zu Materialien, Energieflüssen und Emissionen systematisch erfasst und über den gesamten Lebenszyklus hinweg bewertet. Dieses Vorgehen schafft die erforderliche Grundlage, um gezielte Massnahmen zur Emissionsreduktion abzuleiten und die Anforderungen der SIA 390/1 verlässlich zu erfüllen. Ziel ist die Entwicklung von Gebäuden mit minimalem Treibhausgasausstoss, die sich an den Prinzipien der Netto-Null-Strategie orientieren.
Impulsgeber für den Wandel im Gebäudebereich
Die SIA 390/1 setzt neue Standards für Klimatransparenz und macht den Schweizer Gebäudebereich fit für das Netto-Null-Ziel. Sie verbindet ökologische Verantwortung mit wirtschaftlicher Vernunft und schafft Raum für innovative Lösungen. Eigentümer, Investoren und Bauherren sind gefordert, ihre Prozesse und Datenstrukturen anzupassen – und erhalten zugleich ein starkes Instrument, um ihre Gebäude zukunftssicher zu gestalten. Erstmals können sie auf eine verbindliche Norm verweisen, die eine klar verständliche Zielsetzung formuliert, eine transparente Methodik zugrunde legt und die Ökobilanz als verpflichtende Grundlage für jedes Projekt etabliert. Damit sichern sie sich nicht nur langfristige Immobilienwerte, sondern auch eine messbare Klimatransparenz im Markt – mit einem nachvollziehbaren Fahrplan auf dem Weg zu Netto-Null bis 2050.
Vom Wandel und der Erfahrung profitierenFür die Drees & Sommer Schweiz AG ist die Erfahrung in der Bilanzierung und Optimierung von Gebäudeemissionen wichtig, um die Anforderungen der neuen SIA 390/1 nicht nur einzufordern, sondern diese frühzeitig und vorausschauend in die Projekte zu integrieren. Folgendes Vorgehen schlagen die Spezialisten von Drees & Sommer vor: Ganzheitliche Emissionsbilanzierung
Strategische Zielsetzung & Massnahmenentwicklung
Klimarisiko-Analysen & Szenarienentwicklung
Optimierung der Erstellungsemissionen in Projekten
Know-how-Aufbau und Kommunikation
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Dieser Artikel wurde von Ivo Angehrn im Rahmen des Real Estate Reports Ausgabe 62 verfasst. Unter folgendem Link können Sie das PDF herunterladen.