Sanieren im bewohnten Zustand

Markante Hochhäuser in Aarau erhielten ein energetisches und sicherheitstechnisches Upgrade. Die Belastungen für Mieterinnen und Mieter sollten so gering wie möglich sein.
Das Telli-Areal in Aarau (Schweiz) blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Gelegen rund eineinhalb Kilometer nord- östlich des mittelalterlichen Stadtkerns, existierten dort zum Wechsel des 19. ins 20. Jahrhundert zunächst nur einige Fabriken. Nach dem Zweiten Weltkrieg schloss die Stadt das Gebiet grossflächig ans Kanalisations-, Trinkwasser- und Stromnetz an, erste einfache Wohnungen entstanden. Die aus vier lang gezogenen Hochhäusern bestehende Großwohnsiedlung liess dagegen noch eine Zeit lang auf sich warten. Sie entstand nach den Plänen des Architekten Hans Marti, eines Schweizer Pioniers der systematisierten Orts- und Regionalplanung, zwischen 1971 und 1991. Heute lebt jede achte Aarauerin, jeder achte Aarauer in der Telli.
Der lange Entstehungsprozess lässt bereits ahnen, dass es sich um kein gewöhnliches Ensemble handelt. Die Telli-Hochhäuser sind eine Landmarke und gehören zum Schweizerischen Inventar der Kulturgüter von regionaler Bedeutung. Entsprechend kompliziert gestaltete sich das Vorhaben einer umfassenden energetischen Sanierung zweier der vier Häuser. Deren Eigentümerin, die AXA Anlagestiftung, begann im Frühjahr 2016 mit den Planungen für die Modernisierung, durch die sich das Erscheinungsbild der Gebäude nicht grundlegend verändern sollte. Nach einer intensiven Planungsphase dauerte die effektive Sanierung nur drei Jahre. Drees & Sommer begleitete das Projekt als Generalplaner und als Gesamtprojektleiter fürs Baumanagement mit dem Ziel einer strukturierten Abwicklung.
Rund 1000 Tonnen weniger CO2-Ausstoss
Einige Kennzahlen machen die Dimensionen der Mammutsanierung deutlich. Betroffen waren zwei Gebäude mit 24 Hauseingängen und insgesamt 581 Wohnungen für rund 1.000 Menschen. 16.250 Tonnen Betonelemente mussten bewegt und 1.800 Fassadenelemente ausgetauscht werden, die Fläche der sanierten Fassade entsprach drei Fußballfeldern. Auch 1.200 Türen und 9,5 Kilometer Balkongeländer waren Teil eines der grössten Sanierungsprojekte der Schweiz, dessen Kosten über 100 Millionen Franken betrugen und das die Telli-Hochhäuser auf die Höhe der Zeit hievte – energie- wie sicherheitstechnisch. Brandschutz und Erdbebensicherheit entsprechen nun aktuellen Bestimmungen und die Sanierung sorgt dank einer komplett neuen Hülle (inklusive Fenstern und Dächern) für deutlich verringerte CO₂-Emissionen: rund 1000 Tonnen weniger im Jahr. Auch konnte der Heizwärmeverbrauch im Zuge des Wechsels von Gas auf Fernwärme deutlich reduziert werden.
Zu den Hauptakteuren zählten die mit der Betonelementbauweise bestens vertrauten Architekten von Meili Peter & Partner und das Team von Drees & Sommer, das mit der Gesamtleitung und Bauleitung betraut war. Letztere hatten besonders mit einer Herausforderung zu tun: Die Sanierung fand im bewohnten Zustand statt, die Mieterinnen und Mieter erlebten das Geschehen über die komplette Zeit hautnah. Lediglich während einer Zeit von etwa anderthalb Wochen mussten sie ihre Wohnungen verlassen, in jenen Tagen, in denen die Balkone, Fassadenteile, Türen, Heizungen und Lüftungen ausgetauscht wurden. „Das war schon sehr speziell“, berichtet der Drees & Sommer-Gesamtprojektleiter Julian Kommer.
Erfolgreich auch dank Lean Construction Management
Der Wunsch, die am stärksten und direktesten Betroffenen so wenig wie möglich zu belasten, zog mehrere Maßnahmen nach sich: viele Informationsveranstaltungen beispielsweise, den Einsatz einer App für die Mieterschaft namens beUnity mit aktuellen Informationen zum Umbau, angepasste Bauzeiten und Ausfallzeiten von Strom und Liften usw. Diese CommunityApp wurde gerne genutzt, um sich gegenseitig zu unterstützen – beispielsweise, wenn jemand Hilfe brauchte, um seine Einkäufe hochzutragen. Während der Wohnungs-Umbauten standen Ersatzunterkünfte zur Verfügung, Logistiker kümmerten sich darum, dass die Möbel verbleiben konnten. Vor allem aber lautete das Stichwort Verlässlichkeit bei den Terminen. Um das zu bewerkstelligen, bediente sich Drees & Sommer eines Ansatzes für agile und schlanke Projekte, der ursprünglich aus dem Automobilbereich stammt, sich aber längst auch in der Baubranche bewährt hat: Lean Construction Management. Mit LCM ist ein durchgängiger Fokus auf die Planungsprozesse und eine Priorisierung von Aufgaben und Inhalten möglich, was eine gezielte Steuerung von iterativen und kreativen Prozessen unterstützt. Prozesse werden visuell abgebildet und schaffen einen übersichtlichen Ablauf für alle Beteiligten auf Planungs-, Bauherren- und Nutzerseite.
„Werte erhalten und Neues schaffen“, so fasste Bauleiterin Kerstin Spalek von Drees & Sommer in einem Beitrag des Schweizer Fernsehens (SRF) ihre Aufgabe zusammen. „Lohnt sich dieser Aufwand überhaupt?“, fragte im selben Beitrag die Reporterin einen Vertreter der AXA. Dessen Antwort: „In der Tat lohnt sich der. Wenn man nicht investiert, kann man irgendwann auch nicht mehr vermieten.“
Dieser Artikel ist Teil des Dossiers «Mit Herz und Bestand», welches Drees & Sommer im Jahr 2024 herausgegeben hat. Unter folgendem Link können Sie das ganze Dossier herunterladen.





