Die Überzeugungstäter aus dem Ländle

Frank Lehmann ist im Ländle verwurzelt – und passt genau deshalb so gut zu Ensinger. Der Diplom-Betriebswirt (BA) ist Absolvent der Dualen Hochschule Baden-Württemberg und studierte drei Jahre an der Edinburgh Business School. Nach neun erfolgreichen Jahren bei der Landesbank Baden-Württemberg, arbeitete Lehmann mehr als sieben Jahre bei der EnBW Energie Baden-Württemberg AG. Beim Familienunternehmen Ensinger Mineral-Heilquellen GmbH ist er seit Februar 2018 als Geschäftsführer tätig und verantwortet dort die verwaltenden Bereiche, das Managementsystem und die Logistik.

Herr Lehmann, Ensinger ist offensichtlich sehr gut durch die Pandemie-Krise gekommen. Wie ist Ihnen das gelungen?

Lehmann: Es ist richtig, wir sind auch in der Krise gegen den Trend gewachsen, während unsere Branche leicht geschrumpft ist. Das Allerwichtigste war, Infektionen im Betrieb zu vermeiden und wir sind sehr froh, das geschafft zu haben. Wir konnten relativ früh mit unserem Betriebsarzt, unserer hauseigenen Analytik und zwei angestellten Apothekerinnen Schnelltests für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anbieten. Unser Erfolg am Markt erklärt sich durch unsere Produkte und unsere Marke. Ensinger steht für Regionalität, Qualität, Nachhaltigkeit und gesunde naturnahe Produkte. Die Idee, sich mithilfe von gesunder Nahrung fit zu halten, setzt sich in unserer Gesellschaft immer stärker durch. Das erreichen wir durch unseren hohen natürlichen Gehalt an Calcium und Magnesium. Zudem sind wir mit unserem natürlichen Heilwasser Ensinger Schiller Quelle ein amtlich zertifizierter Arzneimittelbetrieb. Diese unbedingte Ausrichtung an Nachhaltigkeit, Qualität und Natürlichkeit wird von den Verbraucherinnen und Verbrauchern dankenswerterweise mit einem hohen Maß an Markentreue honoriert.

Die Regionalität von Ensinger sticht hervor. Sie haben nicht den Anspruch, ihr Wasser weltweit zu vertreiben, aber in Baden-Württemberg kennt Sie praktisch jeder, was auch daran liegt, dass Sie in vielen unterschiedlichen Kanälen präsent sind. Ist es schwierig, das durchzuhalten?

Lehmann: Es ist eine Frage der Ausdauer. Für uns sind alle Kanäle wichtig: City- und Megalights, Rundfunk, das Internet und Social Media. Auch die Basisarbeit über das Sponsoring vieler Vereine, die wir insbesondere in der Jugendarbeit unterstützen, ist uns wichtig. Kontinuität in der Unternehmenskommunikation ist von essentieller Bedeutung, wir wollen nicht jedem kurzfristigen Trend hinterherlaufen. Der Mix in den Kanälen und die Stabilität haben sich bewährt. Es führt in der Budgetplanung natürlich Jahr für Jahr zu Diskussionen, weil wir gemessen an unserer Unternehmensgröße verhältnismäßig viel Geld ausgeben, aber das ist Teil unseres Erfolgs. Es bringt auf Dauer nichts, für ein oder zwei Jahre ein mediales Strohfeuer zu entfachen, nur um sich dann wieder zurückzuziehen.

Wenn Sie sich weniger mit Hypes befassen, erreichen Sie aber womöglich die jüngeren Generationen nicht, die ja sehr interessiert an Nachhaltigkeitsaspekten sind.

Lehmann: Natürlich dürfen wir neue Kanäle, die sich etablieren, nicht aus dem Blick verlieren. Wir sind dabei immer in einer Spannung, nichts zu verpassen, aber auch nicht überall mitmischen zu müssen. Unsere Erfahrung ist, dass gerade in den „jungen“ Kanälen unsere Nachhaltigkeitsbotschaften sehr gut angenommen werden. Generell ist für uns sowieso eher das Unternehmensimage entscheidend. Wir leben nicht so sehr von einzelnen Zielgruppen, die wir trennscharf ansprechen müssen. Junge Menschen finden zum Beispiel zu uns, weil ihre Eltern im Supermarkt oder beim lokalen Getränkehändler einkaufen und von unseren Produkten begeistert sind.  

Der Getränkemarkt ist hart umkämpft. Wie setzen Sie sich gegen internationale Konkurrenz durch?

Lehmann: Kommunikation und Konzentration sind die Schlüssel. Uns ist wichtig, in der Summe ein schlüssiges Bild abzuliefern. Es muss zusammenkommen, was zusammengehört, also Genuss und Geschmack auf der einen Seite und Nachhaltigkeit und Natürlichkeit auf der anderen. Die Sensibilität der Kunden für glaubwürdige Informationen steigt. Offenheit und Glaubwürdigkeit sind Trumpf. Es wäre im Sinne der Nachhaltigkeit wenig glaubwürdig, wenn unsere Produkte zwar die richtigen Inhaltstoffe hätten, wir aber durch zu lange Transportwege eine hohe CO2-Belastung verursachen. Oder wenn Regionalität und Nachhaltigkeit stimmen, aber die Produkte ungesund sind, weil sie viele künstliche Inhaltsstoffe oder ähnliches enthalten.

Sie haben 2018 den mit 100.000 Euro dotierten Ensinger Umweltpreis zur Förderung des Ökolandbaus in der Region ins Leben gerufen. Wie kam es dazu? 

Lehmann: Unsere Nachhaltigkeitsbemühungen reichen weit zurück. Wir waren in den 90er-Jahren eines der ersten Unternehmen mit einer EMAS-Zertifizierung. Unsere damalige Geschäftsführung hat schnell erkannt, dass Nachhaltigkeit für den Verbraucher eher abstrakt bleibt, wenn sie sich nicht im Produkt widerspiegelt. Unsere ersten Versuche dahingehend machten wir mit unseren Direktsaft-Schorlen. Früher haben wir mit Saftkonzentraten abgefüllt, weil diese sich besser verarbeiten lassen. Ensinger hat mit Streuobst-Direktsäften eine Revolution ausgelöst und mit der Vaihinger Streuobst-Initiative ein Modell zur Aufpreisvermarktung gestartet. Wir garantieren dabei immer einen Abnahmepreis von 20 Euro für 100 kg Äpfel von kleinen, regionalen Erzeugern, die nach den strengen Kriterien des NABU-Qualitätszeichens produzieren. 20 Euro sind etwa das Zwei- bis Dreifache des üblichen Marktpreises und stellen sicher, dass die Erzeuger die Streuobstwiesen nachhaltig bewirtschaften. Unsere Kunden bringen uns für die geschmackliche Qualität der Säfte, die es so noch nirgends gab, und für die Nachhaltigkeit in der Wertschöpfungskette sehr viel Wertschätzung entgegen. Dieses Prinzip der nachhaltigen Bewirtschaftung haben wir aufs Mineralwasser übertragen.

Warum ist das wichtig?

Lehmann: Die Qualität des Trinkwassers in Deutschland verschlechtert sich seit Jahren ständig. Das hat viele Ursachen, eine davon ist die Landwirtschaft, die zu einer hohen Nitratbelastung führt, aber auch anthropogene Stoffe aus der Medizin und der Kosmetik sind mittlerweile zu einer Umweltbelastung geworden. Um etwas dagegen zu tun, haben wir uns als erster Mineralbrunnen in Baden-Württemberg der Qualitätsgemeinschaft Biomineralwasser e.V. angeschlossen, deren definiertes Ziel es ist, durch die Förderung von Ökolandbau den Gewässerschutz voranzubringen. Und in dessen Folge entstand die Idee für den Umweltpreis, den wir zusammen mit Bioland Baden-Württemberg ausgeschrieben haben. Im Rahmen des Ensinger Umweltpreises konnten wir bereits drei landwirtschaftliche Unternehmen bei der Umstellung auf Ökolandbau unterstützen.

Ensinger ist klimaneutral. Was waren die größten Herausforderungen im Prozess dahin?

Lehmann: Wir waren und sind auch beim Energiemanagement ein First Mover, weil wir schon früh begonnen haben, unsere Verbräuche zu erfassen. Unser Anspruch war von Anfang an, bei der Klimaneutralität in die Tiefe zu gehen und nicht nur mit CO2-Zertifikaten zu arbeiten. Diese sind zwar per se nicht schlecht, denn alles ist besser, als nichts zu tun. Aber unser Selbstverständnis von Nachhaltigkeit beinhaltet, dass zuerst alle Umweltauswirkungen im eigenen Betrieb erfasst und reduziert werden. Das tun wir bereits seit über 20 Jahren. Wir haben dann festgestellt, wie wichtig es ist, unseren Betrieb und unsere Nachhaltigkeitsaktivitäten transparenter zu gestalten. Wir arbeiten mit mehreren externen Firmen zusammen, die uns auditieren, helfen, begleiten, beraten und durchleuchten. Wir kooperieren immer wieder mit der Hochschule Pforzheim und lassen uns von Studentengruppen auf den Zahn fühlen. Die Digitalisierung kommt uns beim ganzen Prozess entgegen, weil sie uns die Möglichkeit gibt, viele Daten an unterschiedlichen Messpunkten zu erfassen. So zum Beispiel im Bereich der Druckluft, die viel Energie verbraucht. Aber wir schauen natürlich auch bei der Wärme und beim Strom, wo es Einsparpotentiale gibt und wie wir uns immer weiter verbessern können. Wir treiben zum Beispiel die Elektrifizierung in der Logistik voran. Es mag sich vielleicht nicht innovativ anhören, dass in unseren Lagerhallen Elektrostapler fahren, aber es ist sehr wohl innovativ, weil die Gabelstapler große Gewichte bewegen müssen: drei Paletten mit Getränkekisten bei jeder Fahrt. Da liegen auf den Gabelzinken zweieinhalb bis drei Tonnen. Das konnten Elektrostapler lange nicht leisten, vor allem nicht über einen ganzen Arbeitstag hinweg. Inzwischen ist das möglich. Auch in vielen anderen Bereichen investieren wir in hochwertige Maschinen mit einer besonders guten Energieeffizienz.

Eine eigene Photovoltaik-Anlage steht bei Ihnen ebenfalls auf dem Dach.

Lehmann: Ja, eine Megawatt-Anlage mit 5.000 Solarmodulen, mit der wir einen Teil des Stroms, den wir für die Produktion brauchen, selbst produzieren. Ich sehe bei der Eigenstromerzeugung noch viel Potenzial und träume von einem eigenen Windrad und von weiteren Solar-Anlagen in der Nähe. Wir wollen eine regionale Erzeugung erneuerbarer Energie mit direkter Anbindung an uns, mit kurzen Wegen und guten Steuerungsmöglichkeiten. Aber die regionale Stromerzeugung ist eine große Herausforderung. Da fehlt es zum Teil an der Akzeptanz oder es sind zu wenig Flächen vorhanden.  

Heiß diskutiert wird auch beim Thema Plastik. Die Vorstellung, Plastik sei ausnahmslos böse, scheint omnipräsent. Sie vertreten eine andere Meinung.

Lehmann: Ja. Plastik als recht junger Werkstoff ist für uns Menschen ein Segen, denn Plastik ist leicht, unzerbrechlich und lässt sich gut verarbeiten. Ein generelles Bashing ist deshalb unangebracht. Plastik wird immer da sein, eine plastikfreie Welt ist nicht vorstellbar. Wichtig ist der richtige Umgang mit dem Wertstoff Plastik. Er darf nicht die Umwelt belasten, darf nicht in Wäldern, Flüssen oder Ozeanen landen, sondern muss in geschlossenen Kreisläufen zirkulieren. Wir haben deshalb 1999 mit anderen Brunnenbetrieben zusammen das Kreislaufsystem Petcycle gegründet. Aufgrund der Bepfandung und der Abgabe in Kisten kommen die Flaschen zu annähernd 100 Prozent zum Abfüllbetrieb zurück. Dort werden sie geschreddert und zu neuen Flaschen verarbeitet. Ohne nennenswerten Abfall und ohne Downcycling.  

In viele andere Länder Europas ist dieser Gedanke noch nicht durchgedrungen. Müssten Sie mehr Überzeugungsarbeit leisten?

Lehmann: Wir sind dabei. Unser europäischer Dachverband ist durch schwierige Zeiten gegangen, weil es natürlich auch Unternehmen gibt, die grundsätzlich anders agieren als wir und für ihre Flaschen nur einen Weg kennen: den Weg in den Handel ohne eine Rückführung an die Hersteller. Aber immer mehr Unternehmen erkennen, dass es so nicht weitergehen kann. Ich wünsche mir, dass hier schnell ein Umdenken stattfindet. Einweg als Einbahnstraße ist keine Lösung, Plastik als Wertstoff ist zu wertvoll, die Kreisläufe müssen geschlossen werden. Dann braucht kein Kunde ein schlechtes Gewissen zu haben, ein Produkt aus einer PET-Verpackung zu genießen.

Wie wichtig ist es für Sie generell, als Vorbild zu agieren?

Lehmann: Das ist in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden. Wir wollen andere Firmen ermutigen, mitzumachen und lassen uns dafür auch gerne einspannen. Immer wieder hören wir Berichte, dass es noch zu wenige Unternehmen gibt, die Nachhaltigkeit aus Überzeugung vorantreiben und dafür auch bereit sind, ins Risiko zu gehen. Ich finde das überraschend. Als Unternehmen wollen wir andere ermutigen mit vermeintlich kleinen Schritten zu beginnen.

Gibt es denn auch Bereiche bei der Nachhaltigkeit, in denen es bei Ihnen nicht so gut läuft?

Lehmann: Ja, die gibt es auch. Früher haben wir für unsere Wärmeerzeugung Biogas verwendet. Da mussten wir zurück zum Erdgas gehen, was eine schmerzhafte Entscheidung für uns war. In den letzten Jahren sind die Preise für Biogas stark gestiegen. Hinzu kommt, dass die Nachhaltigkeit von Biogas von Interessengruppen immer wieder angezweifelt wird. Für den Logistik-Bereich halten wir aber synthetische Kraftstoffe für zukunftsweisend. Wir haben zwei eigene Tankstellen auf unserem Betriebsgelände und befüllen unseren Lkw- und Pkw-Fuhrpark ausschließlich mit synthetischem Dieselkraftstoff, der unter anderem aus Pflanzenölabfällen gewonnen wird.    

Die Bereiche, in denen Sie es nicht schaffen, Emissionen zu reduzieren, kompensieren Sie durch ein ökologisch-soziales Projekt. Erzählen Sie uns davon.

Lehmann: Der Markt für Kompensationen ist groß und vielfältig. Für uns war es eine Grundsatzentscheidung uns nicht von entstandenen Emissionen freizukaufen, indem wir irgendwo auf der Welt Bäume pflanzen, sondern effektiv zu helfen, dass Emissionen erst gar nicht entstehen. Das schränkte das Spektrum für potentielle Projekte stark ein. Fündig geworden sind wir in Malawi, einem der ärmsten Länder der Welt, wo in der ganz normalen Haushaltsumgebung viele unnötige Emissionen entstehen, weil ganze Dörfer über kein sauberes Trinkwasser verfügen. Das heißt, sie müssen es entweder über große Wege transportieren oder ihr Wasser in Holzöfen abkochen, um es trinkbar zu machen. Wir sorgen dafür, dass lokale Brunnen gebohrt oder bestehende saniert werden.  Das Ergebnis ist hygienisch einwandfreies Trinkwasser, das nicht CO2-schädlich abgekocht werden muss. Das bedeutet konkret, dass Emissionen nicht ausgeglichen, sondern verhindert werden.

Nicht nur Sie, auch der Verband Deutscher Mineralbrunnen geht voran und hat angekündigt, dass spätestens zum Jahr 2030 die gesamte Prozesskette von natürlichem Mineralwasser klimaneutral gestellt werden soll. Inwiefern hatten Sie da Ihre Hände im Spiel?

Lehmann: Wir sind auch im Verband in Sachen Klimaschutz aktiv. Unser geschäftsführender Gesellschafter Thomas Fritz war lange im Vorstand aktiv, ich selbst beteilige mich in zwei Ausschüssen an der Verbandsarbeit. Die Initiative, als gesamte Branche mit 200 Mineralbrunnen in Deutschland klimaneutral werden zu wollen, haben die Mitglieder ohne Gegenstimme angenommen. Das ist ein großer Erfolg und sehr motivierend. Entsprechend groß ist die Aufbruchsstimmung im Moment.

Das passt wunderbar zu unserem Motto „Aufbruch zur nachhaltigen Transformation“. Wir haben bei der Themenreise ja drei große Felder: People, Process, Places. Lassen Sie uns zum Abschluss noch auf den ersten Punkt eingehen. Spüren Sie einen Fachkräftemangel?

Lehmann: Wir bekommen seit einiger Zeit wieder verstärkt Initiativbewerbungen junger Menschen, die auf der Suche nach Sinn und Nachhaltigkeit im Job sind. Unser Teamspirit und unsere Nachhaltigkeitsausrichtung sprechen offenbar an, wir stehen für Stabilität durch Erfolg. Das lässt sich auch an unseren Bilanzen ablesen, mit denen wir transparent umgehen. Kurzarbeit war für uns in dieser Krise zum Glück kein Thema. Aber klar ist auch: Fachkräfte zu bekommen ist ein Kampf, vor allem im gewerblichen Bereich. Wir haben in Deutschland eine Schieflage hin zu akademischen Berufen. Das geht leider zu Lasten toller, zukunftsorientierter und abwechslungsreicher Jobs in Industrie und im Handwerk. Hier sollten wir als Gesellschaft eine Trendwende einläuten.