Der Nutzen des Ausrangierten

Der Schweizer Lysander Parodi ist studierter Ökonom. Gemeinsam mit dem Produktdesigner Lukas Oppler gründete er 2020 in Basel upVolt. Das Unternehmen bietet einen Reparaturservice für defekte E-Bike-Akkus und entwickelt aus alten Lithium-Ionen-Batterien von Elektroautos einen industriellen Energiespeicher. Der dritte Gründer im Boot ist der Elektrotechniker Dr. Laurens Mackay. Pioniergeist unterstreicht das Trio nicht nur in puncto Nachhaltigkeit, sondern auch, indem es sich der Gleichstromtechnik widmet und sie vorantreiben will.

Herr Parodi, upVolt schenkt gebrauchten Lithium-Ionen-Batterien ein zweites Leben und will mit einem Second-Hand-Batteriespeicher einen Beitrag für eine nachhaltigere Welt leisten. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Parodi: Vor einigen Jahren brauchten meine Mitgründer und ich für ein Afrikaprojekt eine Batterie, wollten aber keine neue kaufen. Wir haben von einem Recyclingunternehmen defekte E-Bike-Akkus erhalten und mussten feststellen, dass weit über die Hälfte der Batteriezellen in einem guten bis sehr guten Zustand waren. Da es dafür offensichtlich noch keine zufriedenstellende Lösung gab, haben wir upVolt ins Leben gerufen, um die Wiederverwendung von Lithium-Ionen-Batterien voranzutreiben. Vor 15 Jahren wurden die ersten Elektroautos produziert. Diese Batterien kann man etwa zehn Jahre benutzen, danach ist die Energiedichte zu tief; das Auto kann nicht mehr so viele Kilometer fahren. Die Batterie hat aber trotzdem noch eine Restleistung von 70 bis 80 Prozent, wenn sie ihr End of First Life erreicht hat. Mittlerweile sind exorbitant viele Batterien im Einsatz. In den nächsten Jahren wird es daher einen gigantischen Rücklauf geben. Niemand weiß, wohin mit diesen alten Batterien. Es braucht dringend Lösungen, entweder fürs direkte Recyclen oder eben fürs Wiederverwenden. Wir planen großen Industriespeicher in Containerdimensionen, für die wir mehrere ausrangierte Batterien zusammenschalten.

Wie vielen Batterien haben Sie schon ein zweites Leben geschenkt? 

Parodi: Bisher haben wir das in Vorbereitung auf die großen Systeme nur im kleinen Umfang gemacht, in Form von Prototypen – für stationäre Home- und Solar-Speicher aus E-Scooter-Batterien. Daneben haben wir von Anfang an versucht, Elektroautohersteller zu überzeugen, mit uns zusammenzuarbeiten, was anfangs schwierig war – in erster Linie aus Sicherheitsgründen. Wir mussten also Partner finden, die -unter Berücksichtigung aller Sicherheitsaspekte- offen sind. Das haben wir geschafft, weil wir viele Projekte erfolgreich durchgeführt haben. Für die neue E-Bike-Flotte der Baseler Kantonspolizei haben wir beispielsweise Ladestationen entwickelt.

Was haben die Hersteller von einer Zusammenarbeit mit Ihnen?

Parodi: Das wird zum Business-Model für sie. Die stellen inzwischen fest: Ihre alten, defekten Batterien haben einen Wert. Erst mussten sie fürs Recycling zahlen, jetzt bekommen sie Geld für die Batterien.

Ihre upgecycelten Batterien sind sogar leistungsstärker als Originale. Wie schaffen Sie das? 

Parodi: Da sprechen wir jetzt über unser zweites Geschäftsfeld, die Akku-Reparatur. Da nehmen wir aus einer Batterie alte Zellen heraus und verbauen die neuesten Zellen, die wir auf dem Markt finden. Es geht also um einen Re-Use der Elektronik und des Gehäuses in Verbindung mit neuen Zellen – das ist nicht nur leistungsstärker, sondern auch 20 bis 30 Prozent günstiger als ein neuer Originalakku und wir räumen trotzdem zwei Jahre Garantie ein. Das schätzen die Kunden sehr, zumal sich die Lebensdauer durch die verbesserte Zelltechnologie auch noch verlängert und die Akkus bis zu doppelt so viel Energie speichern können.

Ist für die Batterien nach dem Second Life auch ein drittes oder viertes möglich?   

Parodi: Leider nicht. Man muss bei den Begrifflichkeiten unterscheiden: Ein Re-Use liegt vor, wenn wir alte Batterien ohne sie aufzuschrauben weiterverwenden – das ist das, was wir mit den Autobatterien und unserem Industriespeicher vorhaben. Das Second Life liegt dann vor, wenn wir, wie bei den E-Bikes, aus alten, noch guten Zellen eine neue Batterie bauen. Nach diesem zweiten Leben ist die Leistungsfähigkeit der Batterie dann zu gering für ein drittes oder gar viertes.

Ist es dennoch vorstellbar, dass die Hersteller von E-Bikes und E-Scootern bald Akkus bei Ihnen beziehen?   

Parodi: Wir gehen auf Hersteller zu, aber es ist immer schwierig. Die verkaufen natürlich lieber einen neuen Akku, wenn der alte kaputt ist. Bei einer Zusammenarbeit mit uns wäre ihre Marge viel geringer. Doch auch die Hersteller merken: Wenn die Kunden keinen neuen Akku kaufen wollen, schauen sie sich nach nachhaltigeren Alternativen um und die Hersteller verlieren sie dann möglicherweise komplett.

Stichwort Nachhaltigkeit: Die Herstellung von Lithium-Ionen-Batterien hat viele dunkle Seiten. Warum ist der Weg der Wiederverwertung der sinnvollere?  

Parodi: Kobalt ist ein Riesenthema. Und auch Lithium, das Blut in jeder Batterie, ist zwar das zweithäufigste Metall auf der Erde, aber die Bedingungen zum Gewinnen von Lithium vor allem in Südamerika sind schlimm. Man braucht unglaublich viel Wasser in Regionen, in denen es kaum Wasser gibt. Dennoch erleben wir gerade eine große Diskussion, ob ein Second Life überhaupt nachhaltig ist, weil man die Materialien ja auch direkt recyceln und neue Batterien daraus bauen könnte. Das Problem ist: Wir sind beim Recycling von Lithium-Ionen-Batterien noch nicht dort, wo wir beim Bleiakku schon sind. Bei dem können wir wirklich bis zu 99 Prozent wiedergewinnen, bei Lithium-Ionen-Batterien erhofft man sich, in den nächsten Jahren auf 96 Prozent zu kommen, realistisch sind wir momentan bei 70 oder 80 Prozent. Hinzu kommt: Der Reinheitsgehalt der wiedergewonnenen Sekundärrohstoffe ist nicht so hoch, um mit ihnen allein und ohne zusätzlich weitere Rohstoffe zu schürfen neue Batterien herstellen zu können. Und was die CO2-Bilanz angeht: Im Vergleich mit einem Container mit neuen Batterien verhindern wir bei unserem Container mit gebrauchten Batterien 70 Prozent an Emissionen.

Welches Feedback haben Sie bisher bekommen: Wie öffentlichkeitswirksam ist Ihr Projekt? 

Parodi: Wir bekommen Aufmerksamkeit von der Presse, was uns sehr freut. Es gibt viele Projekte, die wie auf uns zugeschnitten sind und der Staat spielt uns mit Vorgaben zu Second-Life-Speichern in die Karten. In unserer E-Bike-Akkureparatur ist die Nachfrage dank vieler Privatkunden gigantisch. Unsere Werkstatt ist komplett überflutet, wir sind ständig am Rekrutieren, weil wir sonst gar nicht hinterherkommen. Und wir wollen noch besser werden. Normalerweise brauchen wir zwei Wochen für ein Upcycling, aktuell sind es vier Wochen, in Zukunft wollen wir es innerhalb eines Tages schaffen.

Aktuell sitzen Sie im Baseler Smart City Lab und bekamen dort im April sogar Besuch vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Worin sehen Sie die größten Vorteile des Standorts?   

Parodi: Der größte Vorteil ist das Netzwerk. Durch den Austausch mit anderen Start-ups oder großen Firmen mit langjähriger Erfahrung ist es möglich, ziemlich spezielle Projekte auf die Beine zu stellen. Im Sommer startet eines, bei dem wir einer von 14 Partnern sind, die sich zusammengeschlossen haben. Dabei speichern wir den Strom aus drei Solaranlagen in unserem Second-Life-Container, dpd und das Basler Sharing-Unternehmen Pick-e-Bike laden mit dem Strom ihre Autos und E-Bikes.

Was war die größte Herausforderung auf Ihrem bisherigen Weg?

Parodi: Unser Weg ist ungewöhnlich für ein Start-up, das mit Produkten von einem Wert von mehreren Hunderttausend Franken handeln will. Wir haben recht lange gewartet mit unserer Investorensuche. Bislang wachsen wir organisch, was durch unsere E-Bike-Reparatur möglich ist. Sie hat uns zu der Stabilität verholfen, die nötig ist, damit wir an mehreren Second-Life-Speicher-Produkten arbeiten können, um sie zu präsentieren und erst dann für die Skalierung auf Investorensuche zu gehen. Was uns stark geholfen hat, sind die Unterstützung von Stiftungen wie der Klimastiftung Schweiz und dass wir Mitarbeiter haben, die für unser nachhaltiges Projekt auf einiges verzichten.

Wo wollen Sie mit upVolt in fünf Jahren stehen? 

Parodi: An einem Punkt, an dem wir europaweit mehr als 100 Container mit Energien zwischen 500 Kilowattstunden bis eine Megawattstunde verkaufen und ebenfalls europaweit E-Bike-Reparaturen anbieten.    

Und was muss passieren, damit das gelingt?

Parodi: Wir brauchen wie erwähnt eine oder mehrere stabile Quellen für die Autobatterien und wir müssen die richtigen Leute für so ein High-Tech-Projekt finden. Was ebenfalls wichtig ist: Rund um unseren Container möchten wir ein Gleichstromnetz aufbauen. Dieses Netz möchten wir aufbauen, weil aktuell in vielen Schritten des Stromkreislaufs von Gleich- auf Wechselstrom und wieder zurück gewechselt werden muss. So wird beispielsweise der Strom aus einer Solaranlage in Form von Gleichstrom produziert, im Netz läuft wiederum Wechselstrom, um den Strom im nächsten Schritt in einer Batterie verwenden zu können wird wieder Gleichstrom benötigt, die Autoladestation läuft erneut mit Wechselstrom und das Auto letztendlich wieder mit Gleichstrom.

Der Strom wird also die ganze Zeit gewechselt, aber am Ende brauchen wir Gleichstrom. Jedes elektronische Gerät braucht Gleichstrom. Dass wir Wechselstrom benutzen, ist historisch bedingt. Heute haben wir die Leistungselektronik für Gleichstrom, die es damals nicht gab.