Häuser sollen atmen

Auf den Punkt gebracht – drei Fragen an Dr. Oliver Schwarz, Senior Research am Zentrum für Biointelligente Produktion Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA. Im Rahmen der Designing the Future Initiative haben wir Prof. Schwarz nach seiner Meinung zum Bauen von morgen gefragt. 

Sein Wunsch: „Ich wünsche mir, dass die Baubranche menschengerechter baut, indem sie die Natur immer mehr in die Gebäude einziehen lässt. Dazu muss sie vorher auf Disziplinen hören, die mit dem Bauen zunächst gar nichts zu tun haben.“

 

Prof. Dr. Oliver Schwarz ist Generalist und Netzwerker. Er studierte Technische Biologie an der Universität Stuttgart und ließ ein Postgraduiertenstudium in Wirtschaftswissenschaften, MBA sowie Geschichte der Naturwissenschaft und Technik folgen. Auch seine beruflichen Stationen zeugen von einem vielfältigen Interesse. Oliver Schwarz war Volontär am Staatlichen Museum für Naturkunde und danach an der Landesanstalt für Bienenkunde der Universität Hohenheim und als Produktmanager für Telemedizin tätig. Seit 2008 ist er Gruppenleiter für Bionik und Medizintechnik in der Abteilung Biomechatronische Systeme am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart. Seit über 10 Jahren lehrt er an der Universität Stuttgart Bionik. Seit 2017 arbeitet er am Thema Biologische Transformation der Wertschöpfungsketten.

Was ist Ihre Erwartungshaltung an das Bauen von morgen?

Schwarz: Ich erwarte, dass wir Häuser nicht mehr für die Ewigkeit bauen werden, sondern so, dass sie sich an die Lebensverhältnisse und Platzbedürfnisse der Menschen anpassen. Im Grunde „atmende“ Häuser aus vorgefertigten Modulen, die man leicht erweitern und wieder zurückbauen kann. Ich erwarte, dass wir künftig nur noch mit vielleicht 25 Prozent des derzeitigen Energieaufwands bauen werden, weil wir heute anders als früher viele Dinge besser berechnen können zum Beispiel bezüglich des notwendigen Betonvolumens. Wir werden auch andere Baustoffe verwenden, viel mehr organisches Material. Alles wird multifunktionaler und durchdachter. Eine Hauswand hat nicht nur eine tragende Funktion, sondern dient als vertikaler Garten für die Luftbefeuchtung oder nimmt Energie auf. Ich erwarte, dass Häuser auch direkt vor Ort im 3D-Druck-Verfahren entstehen. Meine Hoffnung besteht darin, dass wir zur Verfestigung nicht mehr Zement benötigen, der ja riesige Energiemengen verbraucht, sondern mithilfe von Proteinen in der Lage sind, kovalente Bindung auszubilden, die die höchste Festigkeit und damit Traglast bieten.

Welchen Beitrag kann Ihr Institut leisten, um das Bauen von morgen voranzutreiben?

Schwarz: Wir sind kein klassisches Bauinstitut, aber wir können Technologien einbringen. Ich beschäftige mich seit zehn Jahren mit Exoskeletten, die einen Beitrag zur rückenschonenden Arbeit auf der Baustelle liefern und dem Körperverschleiß oder gar der Frühverrentung von Bauarbeitern entgegenwirken könnten. Dann ist da die Bauphysik. Ich arbeite gerade an einer Idee zu Gebäudehüllen, die zu 90 Prozent aus Luft bestehen und damit eine extrem gute Dämmung haben – nebenbei gesagt: eine Dämmung ganz ohne Giftstoffe. Interessant ist generell, dass man beim Bauen der Zukunft die Technologien der Vergangenheit verstanden haben muss. Unsere Vorfahren bauten mit Lehm, ein Material, das sehr gute klimatische Bedingungen hat, weil es Wasser speichert und wieder abgeben kann. Wir werden vielleicht auch wieder mit Stroh bauen, nur eben technologisch weitergedacht, insgesamt mit Materialien aus der Natur oder solchen, die der Natur nachgebildet sind. Es gibt bei Fraunhofer Ansätze, Wüstensand nutzbar zu machen, indem man mithilfe von Ultraschall oder ähnlichem die Sandkügelchen zertrümmert.

In der Natur ist die Kreislaufwirtschaft selbstverständlich. Was kann die Bauwirtschaft von der Bionik lernen, um nachhaltiger zu werden?

Schwarz: Die Natur kennt fast keine Abfallstoffe. Wenn ich das übertragen will, muss ich das Lebensende von Produkten schon beim Produktdesign mitbedenken. Bioniker haben einen ganzheitlichen Blick. Sie wurden bisher immer auf ein singuläres Problem angesetzt und haben in der Natur eine Lösung gefunden. Die Natur liefert aber Antworten für alle Facetten – auch die, die über die Lebenszeit hinausgehen und sich mit ökologischer Verwertung beschäftigen. Das hat viel Potenzial. Wenn die Bauwirtschaft aktuell an nachhaltiges Bauen denkt, denkt sie hauptsächlich an Holz. Aber das ist genau der falsche Ansatz. Große Bäume, die ich brauche, um Balken herzustellen, können sehr viel CO2 speichern. 100 kleine Bäume sind dahingehend nicht so wirkungsvoll wie ein einziger großer. Deswegen sollte ich das Holz dieser alten Bäume schonen und mich nach Alternativen umschauen.  

 

HIER finden Sie weitere Informationen zu der Initiative Designing the Future.