Mut zum anders wachsen

Joost Geginat kam 1966 in Köln zur Welt und lebt am Zürichsee. War in der Zeit von 2012 bis 2014 in Singapur tätig. Studierte Betriebswirtschaft (MBA) an der Universität Köln und International Management an der Ecole des Hautes Etudes Commerciales (HEC) Paris. Startete seine Berufslaufbahn 1995 bei Roland Berger Strategy Consultants und brachte es bis zum COO in der Schweiz und zum Regional Managing Partner für Südostasien. Wurde anschließend nach rund zwei Jahren als Senior Managing Director und Partner bei AlixPartners in der Schweiz 2016 Präsident von GF Piping Systems und Mitglied der Konzernleitung der Georg Fischer AG. Tritt als energischer Verfechter von Nachhaltigkeits- und Netzwerküberzeugungen auf. Motto: Everything is connected.

Drees & Sommer (D&S): Herr Geginat, was ist aus Ihrer Sicht nötig, damit sich ein Unternehmen auf die Transformationsreise begibt?

Joost Geginat: Vor allem Geduld und Mut. Es braucht entweder eine Zielvision, die so attraktiv und verständlich ist, dass alle Mitarbeitenden inspiriert sind mitzugehen oder eine Burning Platform, die einen zur Veränderung zwingt. Zum Glück stehen wir bei GF Piping Systems nicht auf einer Burning Platform. Die Wasserkonservierung ist unsere Vision und unser Geschäft. Früher war Wasser als freies Gut selbstverständlich – das ist heute anders. Wir wollen umfassende Lösungen für das Wassermanagement im Zusammenhang mit Themen wie globaler Erwärmung, Urbanisierung und Bevölkerungswachstum usw. entwickeln. Für uns ist es eine spannende und anspruchsvolle Aufgabe, mit der richtigen Mischung aus Tradition und Innovation eine klare Zukunftsausrichtung für unser seit 220 Jahren erfolgreiches Unternehmen zu schaffen. Das gelingt nur, wenn wir eine Vertrauenskultur aufbauen, im Rahmen einer neudeutsch gesprochenen „psychological safety“.

D&S: Das heißt: ohne Sicherheit keine Geduld und kein Mut?

Joost Geginat: Solange es keine Burning Platform gibt, geht es darum, jeden Tag besser zu werden, obwohl es uns gut geht. Dabei fällt es uns leichter, Mut für Veränderungen zu entwickeln, wenn wir uns sicher fühlen. Wir investieren also in die „psychological safety“ unserer Mitarbeitenden – nicht als Selbstzweck, sondern um Mut für Neues zu haben, um Neugier zu wecken und um von anderen zu lernen. Ein Best-Practice-Beispiel von einem Dritten – sei es im Unternehmen oder von außer- halb – darf nicht als Angriff auf die eigene Kompetenz verstanden werden. Das ist vor allem für Führungskräfte entscheidend. Nur wenn ich selbst den Willen zur Veränderung habe, mich nach Best Practices umschaue und das auch offen zeige, kann ich anderen als Inspiration dienen. Deswegen ist Transformation wahrscheinlich eine der wichtigsten und anspruchsvollsten Führungsaufgaben überhaupt.

D&S: Erst recht in turbulenten Zeiten, in denen die Unsicherheit besonders hoch ist.

Joost Geginat: Absolut. Wir leben in Zeiten großer Unsicherheit. Ich will das nicht kleinreden. Aber wir dürfen uns nicht nur darauf konzentrieren, was alles schiefgehen kann. Die Welt hat in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten immer wieder Umbruchsituationen erlebt, aus denen Herausforderungen entstanden sind, aber eben auch Chancen. Das ist gerade auch wieder der Fall. Das Mikroelektronik-Geschäft boomt in großen Teilen, durch erneuerbare Energien entwickeln sich neue Märkte, Wasseraufbereitung ist eines der wesentlichen Wachstumsfelder der Zukunft. Dies herauszustellen, ist sehr wichtig. Denn es stärkt den nötigen Mut, um in unsicheren Zeiten in  die Zukunft zu investieren und neuen Chancen zu begegnen.

D&S: Mit welchen Mitteln bemüht sich GF Piping Systems um Offenheit für andere Sicht- und Arbeitsweisen?

Joost Geginat: Wir investieren in Lernkulturen und arbeiten sehr eng mit Universitäten, Ingenieurbüros, unseren Kunden oder Unternehmen wie Drees & Sommer zusammen. Wir beteiligen uns an Startups und Inkubatoren für Start-ups. Wir haben Business-Development-Teams aufgebaut, die sich um Zukunftsthemen wie Wasserstoff, Entsalzung oder die Produktion von Lithium-Batterien kümmern. Sie überlegen sich, was herausfordernde Themen unserer Gesellschaft wie z. B. globale Erwärmung, Wasserknappheit, Urbanisierung oder eine alternde Bevölkerung für uns bedeuten und wie sie unsere Kunden und uns verbinden. Doch um sich schnell genug auf neue Trends einstellen zu können, müssen sich interne Prozesse und das Bewusstsein der Menschen verändern. Wir können uns lange darüber unterhalten, ob das 1,5-Grad-Ziel realistisch ist. Am Ende geht es darum, möglichst wenig Erderwärmung zu erreichen und möglichst viel Wasser zu konservieren.

D&S: Stichwort Bewusstseinswandel. Wir haben den Eindruck, dass vielerorts überhaupt kein Problembewusstsein herrscht. Muss sich das ändern? Wie geht GF Piping Systems diese Kommunikationsaufgabe an und wie kann das Netzwerk dabei helfen, ein anderes Bewusstsein zu entwickeln?

Joost Geginat: Unseren großen Kunden ist völlig bewusst, dass unsere Produkte ihnen helfen, ihre Scope-3-Emissionen zu reduzieren und damit ihre eigenen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, indem unsere polymerbasierten Rohre weitaus weniger CO2-Ausstoß haben und Energie verbrauchen. Wir haben z. B. ein Projekt gewonnen für die Wasserversorgung der Stadt Helsinki, weil wir in der Lage waren, ihnen bis zum Rohmaterial hin den CO2-Fußabdruck unserer Lösung darzulegen. Das konnte sonst keiner. Das war für die Stadt sehr wichtig, weil sie publizieren konnte, dass sie sich für eine Qualitätslösung entschieden hat, die gleichzeitig auch die beste CO2-Bilanz aufweist.

D&S: Sie haben mit Helsinki ein Projekt in der Wasserverteilungsinfrastruktur genannt. Das bringt uns zu einer unglaublichen Zahl: Weltweit gehen jedes Jahr durch Leckagen in ebendieser Infrastruktur 126 Billionen Liter Wasser verloren.

Joost Geginat: Korrekt. 126 Billionen Liter. Das entspricht für die Versorger einem Verlust von ca. 40 Milliarden US-Dollar. Ich wohne am Zürichsee. Man könnte ihn mit dieser Wassermenge 32-mal im Jahr füllen. Wir verlieren bildlich gesprochen also quasi jeden zehnten Tag im Jahr einmal den gesamten Inhalt des Zürichsees, weil es Leckagen in der Infrastruktur gibt.

D&S:Was bedeutet Wasserknappheit für die aktuelle und künftige Stadtentwicklung oder für die Planung neuer Produktions- und Logistikstandorte?

Joost Geginat: Die wachsenden Megacitys in Sachen Wasserversorgung mit Smart Infrastructure auszustatten, ist ein großes Thema. Da geht es um Managementsysteme zur Kontrolle des Drucks und der Wasserqualität, um Leckage-Sensoren – ja um die komplette Transparenz über alle Wasserläufe in einer Stadt oder einem Stadtviertel. Für die Industrie gilt im kleineren Maßstab das Gleiche – auch wenn es hier weniger um Leckagen geht, eher um die Wiederverwendung von Wasser und um eine gesteigerte Effizienz durch dezentrale Behandlungsanlagen für benutztes Produktionswasser. Das Problem ist, dass sich diese Anlagen bei den aktuellen Wasserpreisen momentan nur begrenzt rechnen und wir uns in Europa mit Verordnungen schwertun. Die fehlen bei uns. In Kalifornien sind solche Systeme bei größeren Gebäuden  verpflichtend. Im Chase Center in San Francisco, der Heimat des Basketball-Teams Golden State Warriors, gibt es eine zirkuläre Anlage, die Regenwasser aufnimmt. Singapur behandelt braunes Wasser aus der Toilette so lange und konsequent, bis es Trinkwasser ist. Das ist kein schöner Gedanke, aber es funktioniert. Und da geht die Reise hin. Wir dürfen nicht ernsthaft glauben, dass der Wasserpreis angesichts der wachsenden Weltbevölkerung und des wachsenden Verbrauchs in zehn Jahren noch so ist wie heute. Wir müssen neue Lösungen finden und das wiederum braucht Mut.

D&S: Mehr Mut, da kommen wir jetzt auf den Anfang unseres Interviews zurück. Wie schaffen Sie es bei GF Piping Systems, Ihren Mitarbeitenden den nötigen Mut zu geben, damit sie am Transformationsprozess mitwirken?

Joost Geginat: Die große Aufgabe ist, die Mitarbeitenden zu stimulieren, ohne sie zu frustrieren, weil auch ein innovationsgetriebenes Unternehmen nicht jede gute Idee umsetzen kann. Wir bei GF Piping Systems wollen und müssen uns aber über nachhaltige, innovative Lösungen für unsere Kunden von der Konkurrenz abheben. Wir folgen dazu dem aus dem Design Thinking geprägten Leitsatz „Fail fast to succeed sooner“. Es spricht nichts dagegen, viele Ideen zu entwickeln. Es spricht sehr viel dagegen, gute Ideen, die in schlechten Konzepten münden, zu lange zu verfolgen. Als Führungskräfte können wir nur andere inspirieren, wenn wir selbst inspiriert sind. Dazu müssen wir raus aus unserer Komfortzone und uns mit neuen Eindrücken versorgen. Für neue Sichtweisen müssen wir uns mit anderen Menschen als mit denen, die wir jeden Tag sehen, austauschen. Mir Zeit zu nehmen, um zu lernen – das ist kein Luxus, das ist Teil meiner eigentlichen Aufgabe als Führungskraft.