China ist das neue Herz der Autoindustrie

"ES GIBT VIELE BEISPIELE DAFÜR, DASS SICH DIE AUTOMOBILINDUSTRIE GRUNDLEGEND ÄNDERT, WIE SIE SICH IN DEN LETZTEN HUNDERT JAHREN NICHT VERÄNDERT HAT."

Interview mit Prof. Dr. Ferdinand Dudenhöffer, Direktor, CAR Center Automotive Research

Prof. Dr. Ferdinand Dudenhöffer gehört zu den renommiertesten Automobilexperten in Deutschland. Nach seiner Promotion Anfang der 80er-Jahre sammelte er über zehn Jahre lang Erfahrungen in der Branche durch führende Positionen im Verkauf und Marketing bei Opel, Porsche, Peugeot und Citroën. Anschließend zog es ihn für zwölf Jahre als Professor für Marketing und Unternehmensführung in den akademischen Bereich, wo sein Forschungsschwerpunkt auf „Automobilwirtschaft“ lag. Bis 2020 war Dudenhöffer Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Automobilwirtschaft an der Universität Duisburg Essen. Heute ist er Direktor des privatwirtschaftlichen Forschungsinstituts CAR-Center Automotive Research in Duisburg, das er mitgegründet hat.

Drees & Sommer (D&S): Die Automobilindustrie befindet sich im Umbruch. Welche Themen bestimmen den Wandel internationaler Automobilmärkte?

Ferdinand Dudenhöffer: Es gibt viele Beispiele dafür, dass sich die Automobilindustrie grundlegend ändert, wie sie sich in den letzten hundert Jahren nicht verändert hat. Das Auto ist heute durch Softwarefunktionen getrieben, in der Vergangenheit waren es Mechanik und Mechatronik. Das wird in der Zukunft deutlich weniger werden. Autos werden durch batterieelektrische Antriebe umweltfreundlicher und emissionsfrei. Bei Pkw gibt es nach unserer Einschätzung nur das E-Auto, das sich in den nächsten Jahren durchsetzen wird. Größer könnte die Transformation also nicht sein. Hinzu kommen Themen wie „Subscription“ und „Rental“, wo man Fahrzeuge zu Monatsbeträgen bekommt; Services, durch die sich Kunden per App ein Auto zusammenstellen können; Mobilitätsdienstleistungen und Ridepooling-Angebote, die in Großstädten umgesetzt werden. Das ist ein völlig neues Modell. Was wir in der Vergangenheit als Automobilindustrie begriffen haben, nimmt in Zukunft vielleicht noch 20 oder 25 Prozent ein.

D&S: Worum geht es also in Zukunft?

Ferdinand Dudenhöffer: Fahrzeuge werden in ihren wesentlichen Eigenschaften durch Software geprägt. Elon Musk war hier schon vor Jahren sehr weit und hat einen Zentralcomputer in seine Fahrzeuge verbaut. Mittlerweile hat man eine Software-Pyramide, wo man unten überlegt, ob ein Autobauer ein eigenes Operating-System braucht. Wenn ich dieses Betriebssystem habe, baue ich obendrüber die Middleware, eine Software, die das Betriebssystem in anwendungsbezogenere Fälle übersetzt. Darüber sind dann die Apps aufgebaut. Bisher hat das jeder Hersteller eigenständig gemacht. Heute denkt man auch über Open Source nach. Das heißt, dass Bosch, Continental, BMW oder VW ihre Software verschenken, sodass sie in größere Softwarepakete eingebaut werden kann. Das wäre eine Revolution im Autobau.

D&S: Wie können europäische Autobauer international mithalten?

Ferdinand Dudenhöffer: Man muss Elon Musk, die Geschwindigkeit und auch die Skalierungen, die er in seinem System hat, ebenso wie das Know-how in Batterien und Software äußerst ernst nehmen. Genauso die chinesischen Hersteller. China ist das neue Herz der Autoindustrie. Und die Hersteller kommen schon mit neuen Konzepten. Auch deshalb, weil die Menschen in China viel stärker an digitalen Dienstleistungen und Services interessiert sind. Und diese sind wiederum Grundlage neuer Fahrzeuge, die dann sehr stark in diese Richtung gehen.

D&S: Wenn andere Länder in den meisten Bereichen voraus sind, wo ist dann die Lücke für deutsche und europäische Autobauer? Oder müssen sie sich komplett neu erfinden?

Ferdinand Dudenhöffer: Sie müssen schneller werden. Es gibt viel Erfahrung, was zum Beispiel Fahrwerk und Verarbeitungsqualität angeht. Daran muss man anknüpfen. Das Wesentliche passiert nicht in Europa, sondern in Amerika und China. Dort den Anschluss an die Kunden zu verlieren, bedeutet: Man verliert die Autoindustrie. Und wir gucken manchmal zu oft mit unserer Brille darauf. Ein Beispiel aus meiner Zeit bei Porsche: Das Schlimmste, was einem Porsche- Ingenieur damals passieren konnte, war mehr Gewicht im Auto. Deshalb war es zu der Zeit fast unmöglich, in den 911 eine Klimaanlage einzubauen. Weil alle Porsche-Ingenieure in Weissach gesagt haben: Diese Klimaanlage kostet mich 20 Kilo und 0,1 Sekunden auf dem Nürburgring. Die Kunden aus den USA haben aber gesagt: Passt mal auf, wir haben Straßen, die sind kerzengerade. Wir finden es toll, dass eure Autos so schnell um die Kurve fahren. Aber bei uns wäre eine Klimaanlage doch wichtiger. Unsere Entwickler sind in den Köpfen noch sehr stark in der klassischen Automobilindus-trie gefangen. Wenn man es schafft, dass sie offener werden, dann können sie mit den Chinesen und den Elon Musks konkurrieren.

D&S: Thema Biokraftstoffe: Welche Rolle werden diese in der Zukunft in der Automobilindustrie spielen?

Ferdinand Dudenhöffer: Wenn man jetzt mal von Porsche, dem 911 und vielleicht noch von drei Ferraris absieht, können Sie die Synfuels und Biofuels vergessen, da sie einen unendlich schlechteren Wirkungsgrad haben. Der einzige Vorteil ist, dass Sie mal eben schnell tanken können. Und Krach machen. Das wird aber irgendwann langweilig werden, wie man am Beispiel Tesla sieht. Dann bleibt die Frage: Wie groß ist der Vorteil vom schnellen Tanken im Vergleich zur Beschleunigung und Dynamik, die man beim Elektroauto hat? Einzig bei der Reichweite muss man schauen, wie man da hinkommt. Spannend ist zum Beispiel das Thema Wechselstationen. Dort kriegen Sie in drei Minuten die Batterie gewechselt, schneller als Diesel oder Benzin getankt.

D&S: Reichweite ist weiterhin ein großes Thema. Viele haben das genossen, mit dem Diesel 900 bis 1000 Kilometer weit zu fahren. Wie beurteilen Sie diese Thematik?

Ferdinand Dudenhöffer: Der chinesische Hersteller Zeekr wird ab dem Frühjahr 2023 ein Auto mit einer Batterie namens Quilin von CATL bauen. Mit einer Reichweite von 1000 Kilometern. CATL hat ein völlig neues Konzept entwickelt mit großen Zellen, die anders belüftet sind. Batterietechnik hat also noch sehr viel Potenzial – und mehr als 1000 Kilometer braucht man wirklich nicht, wenn man das überhaupt braucht.

D&S: Die Hybridförderung ist in Deutschland weggefallen, die Elektroförderung wird in Deutschland wegfallen. Welche Anreize kann man für Kunden schaffen, damit sie sich von einem Verbrennerfahrzeug verabschieden und auf ein Elektrofahrzeug umsteigen?

Ferdinand Dudenhöffer: Es ist ein absolutes Chaos, was gerade in Berlin passiert. Und ich glaube, damit wird ein großer Fehler gemacht. Aber das betrifft allein Deutschland. Und Deutschland ist unwichtig im Geschäft. In China hat man im Elektrobereich große Ideen und Incentives. China stützt die Autoindustrie derzeit, damit mehr verkauft wird. Bei uns macht man es umgekehrt. In Amerika hat man den „Inflation Reduction Act of 2022“ – 370 Milliarden werden in grüne Technologien investiert und wer sich ein Elektroauto kauft, kriegt 7.500 US-Dollar als Steuerbefreiung dazu. Das ist viel Geld in Amerika. In den USA geht die Elektromobilität hoch, in China geht sie auch hoch. Und was in Deutschland passiert, interessiert eigentlich keinen Menschen in der Welt, weil wir als Markt unwichtig sind.

D&S: Mit Blick in die Zukunft werden Mobilitätslösungen jenseits des privaten Pkw gesucht. Unter anderem kommt da auch immer wieder der Begriff „Sharing Mobility“ auf. Müssen in Zukunft Automobilhersteller auch ein Teil dieser „Sharing Economy“ werden oder sehen Sie eine andere Lösung für die Verkehrswende?

Ferdinand Dudenhöffer: Stellen Sie sich vor, Sie leben im Hotel und haben jeden Tag ein anderes Zimmer. Mancher freut sich dagegen, wenn er ein eigenes Häuschen hat und es sich darin bequem machen kann. Beim Auto ist es vermutlich ähnlich. „Sharing Mobility“ klingt schön, aber wenn Sie dann ein bisschen weiter außerhalb wohnen und dann eine halbe Stunde auf ein Sharing-Fahrzeug oder Robo-Auto warten, dann sind Sie nicht ganz so glücklich. Wenn Sie es vor der Haustür stehen haben oder in der Garage, fühlen Sie sich wohl. Und es wird auch in der Zukunft unterschiedliche Marken geben, die unterschiedliche Ansprüche nach außen vermarkten. Ich glaube, solange sich die Menschen das leisten können, wird das so bleiben.

D&S: Wir haben die Transformation in den Großstädten, wo Leute sagen, vom Verbrenner zum Elektroauto zu wechseln, das wird unsere Städte nicht entlasten. Es werden in den Innenstädten Parkplätze rückgebaut und man hat Sharing-Angebote. Wird dies langfristig zu einem Rückgang der Autokäufe führen und bedeutet das nicht den Tod für viele Automobilhersteller?

Ferdinand Dudenhöffer: Diesen Tod sagen wir in Deutschland schon seit 20 Jahren voraus. Und was wir sehen, ist, dass jedes Jahr mehr Fahrzeuge auf der Straße sind. Heute sind wir bei 580 Fahrzeugen
pro 1000 Einwohner. Diese Zahl steigt jedes Jahr und sie steigt auch in Städten wie Stuttgart und München. Wenn es um die Stadt im absoluten Kern geht, haben Sie vollkommen recht. Da passen nicht mehr Autos rein und die Sharing-Konzepte greifen. Aber sobald Sie ein bisschen weiter außerhalb fahren, gibt es schon mehr Platz. Und ich glaube, das wird so weitergehen. Alle Sharing-Konzepte sind, wenn man ehrlich ist, gescheitert. Mit „Share now“ hat man viel Geld verloren, obwohl das stationslose Konzept hoch spannend war. Aber es ist gescheitert und es bleibt ein Nischenmarkt, den man nicht in jedem Dorf braucht. Daher muss man schauen, dass man einen guten Mix findet.

D&S: Wenn wir über die Mobilität der Zukunft sprechen, ist das Thema der Energiewende eng damit verbunden. Sehen Sie die aktuelle Energiekrise eher als eine Chance für die Mobilitätswende oder erschwert sich die Marktdurchdringung der Elektromobilität dadurch? 

Ferdinand Dudenhöffer: Also es kommt immer drauf an, wo man hinguckt. In Deutschland wird es stocken, weil die Subventionen weggefallen sind, Strom teuer ist und Benzin wieder billiger wird. Daher werden wir die nächsten drei oder vier Jahre mehr Verbrenner verkaufen. Wenn man jetzt nach Amerika guckt, wird es umgekehrt sein. Die haben ihre Subventionen. Auch in China wird es umgekehrt sein. Wenn es mit den erneuerbaren Energien in Deutschland klappt und man auch eine Leitung nach Bayern kriegt, wäre man in fünf Jahren dabei, dass wir günstigen grünen Strom haben. Dann kann es funktionieren.

D&S: Wenn Sie einen Wunsch in Bezug auf die Mobilitätswende und Zukunft der deutschen Automobilindustrie freihätten, welcher wäre das?

Ferdinand Dudenhöffer: Mein großer Wunsch wäre, dass sich Deutschland öffnet und sich nicht gegenüber China abschottet. Sich nicht abschottet gegenüber Themen wie autonomem Fahren; sich nicht abschottet gegenüber Themen, wo man eher in alten Mechanismen verbleiben will. Sondern dass wir die Grenzen öffnen, dass wir alle reinlassen und damit stärker werden.

KURZ GESAGT 
Ferdinand Dudenhöffer sieht einen Vorsprung bei chinesischen und amerikanischen Autobauern, da sie bei Themen wie Batterie und Software schneller und dynamischer agieren. Deutsche Autobauer hätten vor allem dann eine Chance auf dem Weltmarkt, wenn sie sich dem chinesischen Markt gegenüber öffnen, anstatt an den Mechanismen der alten Automobilindustrie festzuhalten.